Bundespräsident Bundespräsident: Deutschland glänzt mit Bescheidenheit

Berlin/dpa. - Bundespräsident Roman Herzog hat seinen Nachfolger gewarnt. «Ziehen Sie bloß nicht ins Schloss Bellevue. Mal haben Sie Heizung, mal Wasser, aber Abwasser haben Sie immer.» Johannes Rau ist dem Rat gefolgt und bezog die von Bundestagspräsident Wolfgang Thierse verschmähte Dienstvilla in Berlin-Dahlem. Damit stellte er sich allemal besser. Im 1784-1787 erbauten Bellevue - so genannt wegen der schönen Aussicht auf die Spree - stünde dem Staatsoberhaupt gerade mal eine recht verbaute Drei-Zimmer-Wohnung mit zwei Badezimmern plus Frühstücksraum zur Verfügung. Auch sonst ist für größere Veranstaltungen nicht sonderlich viel Platz. Wenn an Tagen der offenen Tür Besucher das Schloss betreten, sind sie meist enttäuscht, sobald sie hinter die schöne Fassade blicken.
In anderen Ländern ist mehr Glanz. Als Rau am 11. November zu einem Staatsbesuch nach Spanien reist, ist auch er vom Empfang beeindruckt. Im Pardo-Palast nordwestlich von Madrid inszeniert das spanische Protokoll eine glanzvolle Begrüßung. Die Militärkapelle spielt die Nationalhymnen, es ertönen 21 Schuss Salut, anschließend marschiert an den Delegationen die Geschichte eines stolzen Reiches vorbei. An der Spitze eine Flotte funkelnder Harley Davidson, dann der lange Zug der königlichen Garde mit aufgepflanztem Bajonett in prächtigen Uniformen, zu Fuß oder auf stolzen Rössern, die zum Schluss die Kanonen aus längst vergangenen Zeiten ziehen.
Im Berliner Schloss Bellevue wird bei Staatsbesuchen der Empfang mit militärischen Ehren hinter das Haus in den Garten versteckt. Das Wachbataillon tritt an, das Stabsmusikkorps spielt die Hymnen, die Präsidenten schreiten die Front ab. Das war's.
Mit dem Palacio Real, dem Königlichen Stadtpalast, kann Bellevue schon gar nicht mithalten. In die 2000 Säle und Zimmer des 1764 fertig gestellten klassizistischen Baus, in den als erster Karl III. einzog, würde der Amtssitz des deutschen Staatsoberhauptes gleich mehrfach passen. Am Abend beim Staatsempfang - die Damen in Abendrobe, die Herren im Frack - ist Hofknicks und Handkuss angesagt. Der Staatsgast fährt in einem eigens nur für gekrönte Häupter angefertigten Rolls Royce, der sich in einem Detail von den anderen Edelkarossen unterscheidet: Die berühmte Kühlerfigur Emily steht nicht, sondern kniet.
Soweit würde natürlich im republikanischen Deutschland niemand gehen wollen. Aber, so sagt selbst Rau, «es darf nicht ärmlich zugehen». Um beim Staatsbesuch in Madrid wenigstens ein bisschen gegenhalten zu können, hat sich der Chef des Präsidialamtes, Staatssekretär Rüdiger Frohn, ein Schmankerl einfallen lassen. Beim Gegenempfang tischt der Sternekoch Wolfgang Nagler Köstlichkeiten aus der Mark Brandenburg auf - und die spanischen Gäste sind überrascht und begeistert. Frohn hat Nagler, der als Küchenchef im Restaurant Quadriga im Berliner Hotel Brandenburger Hof am Herd steht, eigens für diesen Abend im Patio de los Borbones gewonnen. Solche Eskapaden könnten aber den Rechnungsprüfern nicht schmecken, denn die behandeln - wie Frohn weiß - auch den Bundespräsidenten, als ginge es um den Geschäftsbetrieb eines Landesvermessungsamtes.
Bei den Ausgaben für Repräsentation hält der Staat den Präsidenten kurz. Dafür stehen dem Präsidialamt gerade mal 525 000 Euro im Jahr zur Verfügung, für Öffentlichkeitsarbeit gar nur 17 000. Das System funktioniert nur, weil andere einspringen oder unentgeltlich Aufgaben übernehmen. Ohne Sponsoren würde es im weiten Park des Schlosses Bellevue kein einziges Fest geben.
Das Amt der First Lady ist in der Verfassung nicht vorgesehen. Gleichwohl wird von Christina Rau erwartet, dass auch sie das Land repräsentiert. Sie hat zwar im Schloss ein persönliches Büro und einen Referenten, aber für ihren Aufwand, für ihre Arbeitszeit, die erforderliche Garderobe erhält sie keinen Cent.
Bei Auslandsreisen nimmt der Bundespräsident immer Sondergäste mit. Die Vertreter aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kultur dürfen im Luftwaffen-Airbus neben dem Präsidenten Platz nehmen und in fernen Ländern Deutschland auch würdig vertreten, aber die vom deutschen Staatsoberhaupt Eingeladenen müssen die Reise selbst bezahlen.
Wenn Deutschland wegen seiner Sparsamkeit schon nicht so glänzen kann wie andere Länder, will Berlin wenigsten bei den Staatsessen etwas Besonderes bieten. Frohn, der in Düsseldorf die Staatskanzlei des Ministerpräsidenten Rau leitete, hat erreicht, dass renommierte Köche angeheuert werden. Zum Glück hat sich nach der Wende auch in dem vormals kulinarisch nicht aufregenden Berlin und Brandenburg einiges getan. Seit einigen Jahren gibt es nun eine Art Wettbewerb der hier ansässigen Spitzenköche, einmal bei einem Staatsbankett im Bellevue ihr Können zeigen zu dürfen.
Was die meisten Gäste nicht wissen: Bei Tische lebt die DDR fort. Der knappe Etat erlaubt es nicht, angemessene Gläser anzuschaffen. So trinken die Gäste ihren Wein und ihr Wasser weiter aus schweren kristallenen Trinkgefäßen, die auch von einem Trödelmarkt kommen könnten, aber in Wirklichkeit aus den übernommenen Beständen Erich Honeckers stammen.
Noch von einer weiteren Hinterlassenschaft der verblichenen DDR profitieren Kanzler, Minister und Präsident. Wenn sie einen der beiden VIP-Airbusse der Flugbereitschaft besteigen, fliegen sie in einem Fluggerät, das schon die Nomenklatura des einstigen Arbeiter- und Bauernstaates beförderte. Nach der Wende hatte das vereinte Deutschland die DDR-Maschinen gerne übernommen, flogen die Repräsentanten doch in früheren Bonner Zeiten noch mit uralten und reparaturanfälligen Boeings 707 durch die Gegend. Doch besonders modern und komfortabel sind die für Langstrecken nur bedingt geeigneten zweistrahligen A310 auch nicht. Repräsentativ ohnehin nicht. Kommt der jordanische König nach Deutschland, entsteigt er einem neuen vierstrahligen A340.
Als sich neulich die Dienstfahrzeuge des Präsidialamtschefs und des Verteidigungsministers kreuzen, lässt Peter Struck die Scheibe herunter und ruft Frohn fröhlich zu: «Das erste Flugzeug wird im Juli umgespritzt.» Der kleine Dialog im hauptstädtischen Verkehr hat eine lange Vorgeschichte. Sind Berliner Spitzenpolitiker mit der «Konrad Adenauer» oder der «Theodor Heuss» auf Auslandstour, sieht es so aus, als rückte jetzt das deutsche Militär an. Denn auf dem Aluminiumkleid der Staats-Maschinen prunkt die Aufschrift «Luftwaffe».
Frohn stört dies schon lange. Doch dem stand scheinbar ein Erlass des damaligen Bundespräsidenten Theodor Heuss, des Kanzlers Konrad Adenauer und des ersten Verteidigungsministers Theodor Blank entgegen. Bei näherer Betrachtung des verblichenen Dokuments zeigte sich aber, dass 1956 lediglich verfügt wurde, Fahrzeuge der Bundeswehr haben das Eiserne Kreuz zu tragen. Jetzt endlich erhalten die Maschinen bei der nächsten Generalüberholung - entsprechend den internationalen Gepflogenheiten - die Aufschrift des Staates, in dessen Auftrag sie fliegen.
Auch an anderer Stelle wirft die Eigendarstellung Deutschlands Fragen auf. Als Rau im März einen Staatsbesuch in Indien absolviert, weht vor dem deutschen Botschaftsgebäude die kleinste Fahne aller diplomatischen Vertretungen und nicht etwa die Bundesflagge, sondern die mit dem Adler versehene Dienstflagge der Bundesbehörden. «Wir kommen im Ausland daher wie eine Behörde», wundert sich Frohn. Und besonders schmuck sind die deutschen Vertretungen auch nicht. Ein Insider frotzelt: Gehe in einer Hauptstadt ins Diplomatenviertel und suche das hässlichste Gebäude. Du findest in der Regel die deutsche Botschaft. Sparen muss der deutsche Gesandte ohnehin. Er kann nicht einmal, wie Vertreter anderer Länder, einen Koch anstellen.
In der deutschen Hauptstadt hat manch eine große Botschaft mehr Möglichkeiten, ihr Land zu repräsentieren als der Bundeskanzler oder der Bundespräsident. In dieses Bild passt, dass mancher europäische Botschafter in Berlin ein höheres Amtsgehalt bezieht als der deutsche Kanzler, wie Frohn weiß. Krass fällt die deutsche Bescheidenheit im Vergleich mit Frankreich auf. Als die Franzosen am 23. Januar ihre neue Botschaft am angestammten Pariser Platz direkt neben dem Brandenburg Tor eröffnen, bringt Staatspräsident Jacques Chirac zur Feierstunde natürlich die Soldaten seiner republikanischen Garde mit.
Zu Hause im Elysée repräsentiert Chirac in prächtigen Räumen, die mit kostbaren Wandteppichen, Gobelins und Antiquitäten geschmückt sind. Undenkbar wäre in Frankreich eine Diskussion, wie sie die Deutschen anlässlich des 40. Jahrestages des Elysée-Vertrages führten. Verwundert registrierten die Nachbarn, dass jenseits des Rheins tatsächlich darüber gestritten wurde, ob die 603 Bundestagsabgeordneten wegen der Kosten der Tagesreise der Einladung nach Versailles folgen dürfen.
Den französischen Hang zur stolzen, prächtigen Darstellung will in Deutschland niemand nachahmen, auch hält Rau eine gewisse republikanische Bescheidenheit für angemessen. Das deutsche Auftreten provoziert indes bei manch einem ausländischen Gast die Frage, ob er wirklich im drittwichtigsten Industriestaat der Welt ist. «Bei den Möglichkeiten der staatlichen Repräsentation ist Deutschland bei Slowenien und Rumänien einzuordnen», urteilt Frohn.
Die deutsche Bescheidenheit hat Gründe, finanzielle, vor allem aber historische. Nach dem Pomp des Kaisers, den nationalistischen Exzessen und dem Zivilisationsbruch der Nazis konnte sich keine Tradition fortsetzen. Die Teilung Deutschlands und das gestörte Verhältnis zur Nation taten ihr Übriges und wirkten noch nach der Wiedervereinigung fort. «Es mangelt an größerem Selbstverständnis», stellt nicht nur der Chef des Präsidialamtes fest. Dies wirkt sich natürlich auch auf den Etat des ersten Repräsentanten des Staates aus.
Die Missgunst, mit der viele Bürger der Politik begegnen, ist auch einer der Gründe, weshalb die seit 1991 überfällige Sanierung des Schlosses Bellevue auf die lange Bank geschoben wurde. Nun muss aber im nächsten Jahr der Bundespräsident seinen Amtssitz im Tiergarten verlassen. Mitte 2004 wird die Grundsanierung endlich angegangen. Die Baupolizei macht schon lange Druck. Im Obergeschoss dürfen sich der Statik wegen nicht mehr als 300 Personen aufhalten.
Wo aber soll der Präsident während der eineinhalb Jahre der Sanierung Staatsgäste empfangen, Bürger einladen, repräsentieren und arbeiten? Wahrscheinlich in dem 1663 als kleines Herrenhaus erbauten Schloss Niederschönhausen in Pankow. Der Name des Stadtviertels im Osten Berlins war in den 50er Jahren - Adenauer sprach immer von «Pankoff» - ein Synonym für die DDR, weil deren Führung dort Quartier bezogen hatte. Nun wird im neuen Deutschland das Staatsoberhaupt - ob Rau oder sein Nachfolger ist noch offen - wenigstens vorübergehend in den Osten ziehen.