Bundespräsident beim Weltwirtschaftsforum in Davos Bundespräsident beim Weltwirtschaftsforum in Davos: Joachim Gauck hält ein Plädoyer für Europa

Eigentlich ist das Thema des Weltwirtschaftsforums in Davos ja ein anderes: Beim Treffen der Spitzenmanager und Politiker in dem Schweizer Ort soll es um die „vierte industrielle Revolution“ gehen, die digitalen Umbrüche. Aber wenn in den Tagen der Flüchtlingskrise ein deutscher Bundespräsident auf dem Weltwirtschaftsforum spricht, wird er sich mit den revolutionären Umwälzungen in Europa und Afrika beschäftigen. Und so kommt es auch in Davos. Joachim Gauck redet über Flüchtlinge, Grenzen und grenzenlose Herausforderungen für Europa. Gaucks Worte sind vielschichtig, manchmal sogar tastend in der Argumentation. Vielleicht, weil mittlerweile auch die Politik erkennt, dass es keine einfachen Lösungen geben wird.
Lagarde: Integration ist entscheidend
Viel wird davon abhängen, wie die Integration der Flüchtlinge gelingt, gesellschaftlich und ökonomisch. Das macht auch IWF-Chefin Christine Lagarde in Davos klar: Der Internationale Währungsfonds erwartet durch die Flüchtlingsbewegung zunächst leicht positive Auswirkungen auf die Konjunktur in Ländern wie Deutschland, Österreich und Schweden - später hänge alles davon ab, wie gut die Migranten in den Arbeitsmarkt integriert werden können.
Für Joachim Gauck ist jetzt schon klar, dass die Flüchtlingsbewegungen die Europäische Union vor die größte Belastungsprobe ihrer Geschichte stellen werden. Und doch beginnt der Präsident optimistisch in Davos: „Wie sehr ein Land von der Kreativität von Einwanderern profitieren kann, zeigt ein Blick auf die Liste der amerikanischen Nobel- und Oscarpreisträger. Dort finden sich drei bis vier Mal so viele Immigranten wie gebürtige Amerikaner.“
Gauck trübt eigenen Optimismus
Auch das westdeutsche Wirtschaftswunder sei ohne die Gastarbeiter, also ohne Zuwanderung, gar nicht möglich gewesen, sagt Gauck. Doch da schon trübt sich der Optimismus des Präsidenten ein wenig. „Ein Teil der Gastarbeiter wurde dauerhaft in Deutschland ansässig und trägt seither zu Wohlstand und Wachstum bei. Gerade in den siebziger Jahren verloren aber nicht wenige Zuwanderer in der Rezession ihre Arbeit. Am Ende zahlte auch die aufnehmende Gesellschaft einen Preis, weil sie es versäumt hatte, Einwanderer einzubinden, ihnen Wege zu mehr Bildung zu öffnen und zugleich Integrationsanstrengungen einzufordern.“
Dann ist er mitten in der aktuellen Debatte. „Nicht alle Zuwanderer haben zudem alle europäischen Grundüberzeugungen übernommen. Das gilt besonders für manche Menschen, die selbst oder deren Familien aus muslimischen Ländern stammen, und es gilt für ihre Ansichten etwa über die Rolle der Frau, die Toleranz, die Rolle der Religion oder über unser Rechtssystem.“
Bundespräsident gegen „geschlossenen Türen“
Gauck spricht sich dennoch gegen eine Politik der „geschlossenen Türen“ aus, sagt auch, dass „die Regierungen in Deutschland und anderen europäischen Staaten“ nach Lösungen suchen, die Zahl der Flüchtlinge zu reduzieren. Beide Argumente zusammengenommen sind durchaus als eine Unterstützung der Politik Angela Merkels zu interpretieren, was in diesen aufgeladenen Tagen ja nicht uninteressant ist.
Und doch sagt Gauck, dass es nicht unethisch sei, über die Grenzen der Aufnahmefähigkeit zu sprechen: „Eine Begrenzungsstrategie kann moralisch und politisch sogar geboten sein, um die Handlungsfähigkeit des Staates zu erhalten. Sie kann auch geboten sein, um die Unterstützung für eine menschenfreundliche Aufnahme der Flüchtlinge zu sichern.“ Und dann noch deutlicher: „Wenn nicht Demokraten über Begrenzungen reden wollen, wird Populisten und Fremdenfeinden das Feld überlassen.“
Nur über eins will Gauck nicht mit sich reden lassen, über die Weigerung der Polen und anderer osteuropäischer Staaten, Flüchtlingen Schutz zu bieten: „Ich kann aber nur schwer verstehen, wenn ausgerechnet Länder Verfolgten ihre Solidarität entziehen, deren Bürger als politisch Verfolgte einst selbst Solidarität erfahren haben.“ Das gefährde auch Europa als Ganzes: „Wollen wir wirklich, dass das große historische Werk, das Europa Frieden und Wohlstand gebracht hat, an der Flüchtlingsfrage zerbricht? Niemand, wirklich niemand kann das wollen.“
