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Bundeskanzlerin ein Jahr im Amt Bundeskanzlerin ein Jahr im Amt: Angela Merkels Mühen mit der Macht

Von Markus Decker 17.11.2006, 19:32

Berlin/MZ. - Bei Horst Kasners 80. Geburtstag war es Abend, als der wichtigste Gast eintraf: Angela Merkel, seine einzige Tochter. An jenem 6. August - ein Sonntag - saßen nur noch wenige Gäste im Kreise der protestantischen Pfarrersfamilie im brandenburgischen Templin. Rasch ging es um Politik. Eine Frau wollte wissen, was die Kanzlerin vom französischen Präsidenten Jacques Chirac halte. Später war US-Kollege George W. Bush an der Reihe. Auch der Libanon-Einsatz der Bundeswehr spielte eine Rolle.

Die Gäste erlebten keine auftrumpfende Staatenlenkerin. Sie erlebten, so ein Bekannter, eine Frau von 52 Jahren, die privat auftrat, wie sie privat immer aufgetreten ist: "zurückhaltend". Jedenfalls habe sie "in dieser intimen Atmosphäre keine Maske aufgesetzt". Angesichts der Weltlage habe die Kanzlerin vielmehr erkennen lassen, dass ihre Möglichkeiten begrenzt sind.

Der Befund aus dem Privatleben deckt sich mit jenem aus dem politischen Berlin. Merkel hat sich im ersten Jahr ihrer Amtszeit kaum verändert. Ihr ist das Amt nicht zu Kopf gestiegen. Es hat sie erleichtert. Oberflächlich hat sich natürlich vieles verändert. Die Kanzlerin muss noch mehr arbeiten als zuvor. Sie steht nicht allein national, sondern auch international unter Beobachtung. Stets ist eine Visagistin in der Nähe. Merkels Neigung, nicht allzu viel Wert auf Äußeres zu legen, lässt sich nicht halten. Nicht als Frau in dieser Position.

Hildegard Müller - in den Schwangerschaftsurlaub gegangene Kanzleramtsministerin - findet Merkels Aufnahmefähigkeit "faszinierend". Sie orientiere sich an der Sache und lasse sich nicht aus der Ruhe bringen. Unterdessen trinke sie "viel Tee und hat reichlich Rohkost auf dem Tisch zum Knabbern".

Die Belastungen sind zuweilen mörderisch. In der Nacht vom 4. auf den 5. Oktober zum Beispiel verhandelte Merkel mit den Spitzen der Koalition über die Gesundheitsreform. Morgens um kurz nach zwei trat sie mit SPD-Chef Kurt Beck und dem CSU-Vorsitzenden Edmund Stoiber vor die Presse und lobte die ermatteten Journalisten dafür, dass sie noch so lange ausgehalten hätten.

Die Kanzlerin dürfte so gegen drei ins Bett gekommen sein. Zwischen sieben und acht gab sie schon wieder Interviews. Um halb zehn hob die Kanzlerinnen-Maschine zum Staatsbesuch Richtung Türkei ab. Journalistische Beobachter berichten, sie sei dort etwas unleidlich gewesen, weil das Protokoll am Abend eine nicht enden wollende Schifffahrt sowie anschließend ein Hintergrundgespräch vorsah. Doch wer wäre nach so einer Strapaze nicht unleidlich gewesen? Normalerweise ist die Bundeskanzlerin geselligen Zusammenkünften bis tief in die Nacht durchaus nicht abgeneigt. Sie bevorzugt übrigens Rotwein.

Ein führendes Unionsmitglied findet, die CDU-Vorsitzende strahle seit ihrer Wahl zur Kanzlerin am 22. November 2005 "eine größere Gelassenheit aus". Weil sie's geschafft hat. Hildegard Müller, seit Jahren eine der engsten Vertrauten der Kanzlerin, hält fest: "Sie ist, wie sie ist."

Merkel lebt nach wie vor im Herzen Berlins - gegenüber der Museumsinsel. Man sieht sie nach wie vor selten mit ihrem Mann, dem Physiker Joachim Sauer. Der besteht auf seiner Eigenständigkeit. Wie schon in den Vorjahren verbrachten die beiden ihren Urlaub in Süd-Tirol. Dabei lauerte ihnen ein Team von "Spiegel TV" auf. Merkel sagt, mit dem Flanieren in der Öffentlichkeit sei es schwierig. Deshalb geht sie gern in den Wald. Auch die Leidenschaft für das Verschicken von SMS hat sie ins Amt hinüber gerettet. Der "Bunten" vertraute die erste deutsche Regierungschefin an, sie habe unlängst "sogar Kuchen gebacken, mit eigenen Pflaumen". Das ist banal und zugleich eine Botschaft: Die Kanzlerin ist nichts Besonderes. Will es auch nicht sein.