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Bundeshauptstadt Bundeshauptstadt: «Arm, aber sexy»

07.01.2009, 07:04
SPD-Abgeordnete Lars Oberg geht mit seinem T-Shirt mit der Aufschrift «Arm aber sexy» im Berliner Abgeordnetenhaus zu seinem Platz (FOTO: DPA)
SPD-Abgeordnete Lars Oberg geht mit seinem T-Shirt mit der Aufschrift «Arm aber sexy» im Berliner Abgeordnetenhaus zu seinem Platz (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Seitdem kursiert der Spruch des RegierendenBürgermeisters Klaus Wowereit (SPD): «Berlin ist arm, aber sexy». Wiekaum ein anderer Slogan wird er mit der Hauptstadt identifiziert undlöste eine große Resonanz aus. Ein gutes Beispiel, wie man aus einer Finanzmisere wenigstens noch ein Sympathie-Kapital schlagen kann.

Googelt man den Satz, tauchen hunderte Einträge im Netz auf. Ineiner Liste über die berühmtesten Aussprüche zu Berlin wird erinzwischen in einem Atemzug mit den bekannten Sätzen wie «Ich bin einBerliner» (John F. Kennedy, 1963) oder «Ich habe noch einen Koffer inBerlin» (Marlene Dietrich, 1957) genannt. Findige Studenten brachtenein T-Shirt mit dem Spruch «Arm aber sexy» rund um den BerlinerFernsehturm heraus. Er prangt weiß auf schwarz auf großenEinkaufstüten einer Designerin. Das August-Bebel-Institutveranstaltete 2007 ein Seminar zur Berliner Haushaltspolitik unterdem Motto. Das Europäische Patentamt preist unter anderem mit diesemSpruch Berlin als attraktiven Dienstort an.

Die Profis der Berlin Tourismus Marketing Gesellschaft finden ihngelungen. «Der Spruch wird gern zitiert und auf Messen oder beiReiseveranstaltern positiv aufgenommen», sagt Sprecher ChristianTänzler. «Er provoziert immer ein Schmunzeln, und damit haben Sieschon gewonnen.» Viele sagen, der Spruch passe gut zu Berlin, weil eraus der Not eine Tugend mache. «Berlin war in Krisenzeiten immerschon sehr kreativ.»

In zahlreichen Internetforen beziehen sich Chatter auch aus demAusland auf dem Ausspruch Wowereits, den er 2003 in einem Interviewmit der Zeitschrift «Focus-Money» prägte. Er wurde gefragt: «MachtGeld sexy?» Er verneinte daraufhin einen Zusammenhang zwischenerotischer Ausstrahlung und Reichtum: «Nein. Das sieht man an Berlin.Wir sind zwar arm, aber trotzdem sexy».

Für viele traf Wowereit das Lebensgefühl in der deutschenHauptstadt nach Wiedervereinigung und Jahrtausendwende: «Hier ist soetwas Unfertiges, Kreativität hat noch eine Chance, auch mit wenigGeld kannst Du hier leben», schreibt ein Blogger aus New York. Ineinem französischen Kunst- und Kulturportal heißt es: «Der Sloganerklärt, warum Reichtum, wie man in Berlin sehen kann, keineVoraussetzung ist, um anziehend zu sein.»

Aus Sicht des Politologen Oskar Niedermayer ist der Spruch unterMarketing-Gesichtspunkten optimal, weil er für reichlichDiskussionsstoff und so große Bekanntheit sorgt. «Wowereit hat damitdie etwas schnoddrige Art der Berliner gut getroffen. Er spiegelt ihrgewünschtes Selbstbild wieder. Auch in Krisen das Leben locker zusehen und zu nehmen.» Eine Berliner Bloggerin bestätigt das. «DerSpruch ist cool, wenig aussagekräftig, aber dennoch wirkungsvoll,weil es unser Regierender Bürgermeister damit schafft, BerlinerHerzen für sich schlagen zu lassen.»

Anderen stößt die Schnodderigkeit sauer auf. «Ich finde, der hateinen Knall. Soll er doch mal zu den vielen Arbeitslosen mit diesemSpruch gehen», empört sich ein Betroffener. Der Spruch lasse fastniemanden unberührt, er provoziere Sympathie oder Ablehnung, sagtNiedermayer. Das beweist auch die Berliner Opposition. Vor allemPolitiker aus der CDU und FDP zitieren den Spruch erbost immer wiederals Beleg dafür, dass sich Wowereit besser aufs Feiern undSprücheklopfen denn auf die Ankurbelung der Wirtschaft verstehe.

Selbst das Bundesverfassungsgericht bezog sich 2006 auf diesenSlogan in seiner Begründung, warum Berlin keinen Anspruch aufzusätzliche Bundeshilfen zum Abbau seiner 60 Milliarden Euro Schuldenhabe. Vize-Präsident Winfried Hassemer frozzelte in Richtung desanwesenden Regierungschefs: «Vielleicht ist Berlin ja deshalb sosexy, weil es gar nicht so arm ist.»