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Bundesgerichtshof Bundesgerichtshof: BGH stärkt Recht auf Sterbehilfe

Von Mira Gajevic 16.10.2014, 15:57
Gruppe um Hintze (3.v.l.) und Lauterbach (r.)
Gruppe um Hintze (3.v.l.) und Lauterbach (r.) dpa Lizenz

Karlsruhe - Der Bundesgerichtshof (BGH) hat den Willen von Schwerkranken gestärkt, die keine schriftliche Patientenverfügung hinterlassen haben. Bei der Entscheidung, ob lebensverlängernde Maßnahmen beendet werden, dürfe es keine Rolle spielen, wie lange der Patient noch zu leben habe, erklärten die Richter in ihrem am Donnerstag veröffentlichten Urteil. (AZ: XII ZB 202/13).

In dem Fall, den das BGH zu entscheiden hatte, ging es um den mutmaßlichen Sterbewunsch einer todkranken Patientin, die seit 2009 im Koma liegt. Ihre Familie wollte die künstliche Ernährung einstellen und war der Auffassung, damit den Willen der Frau umzusetzen. Dabei beriefen sie sich auf vorherige Aussagen der Frau. Sie habe lebenserhaltende Maßnahmen abgelehnt, weil sie sich nicht in einem dauerhaften „Zustand des Leidens und der Qual“ befinden wollte. Noch kurz vor ihrem Schlaganfall hatte sie sich daher Formulare für eine Patientenverfügung besorgt, sie jedoch nicht mehr ausgefüllt.

Kriterien vage formuliert

Weil keine schriftliche Patientenverfügung vorlag, ermittelte das Landgericht Chemnitz den mutmaßlichen Willen der Frau – und lehnte das Ende der künstlichen Ernährung ab. Da die Wachkoma-Patientin nicht unmittelbar vom Tod bedroht sei, würden besonders strenge Beweisanforderungen für die Feststellung ihres Sterbewunsches gelten, argumentierte das Gericht. Die Aussagen der Angehörigen über den Willen der Frau habe nicht ausgereicht. Es sei nicht sicher, dass die Betroffene in ihrer jetzigen Situation sterben wolle, hieß es.

Dem widersprach der BGH und verwies den Fall zurück an das Landgericht Chemnitz. Das muss nun neu prüfen, ob die Frau in ihrem jetzigen Zustand hätte sterben wollen. Die Richter kritisierten, dass das Landgericht zu Unrecht davon ausgegangen sei, dass hier wegen des nicht unmittelbar bevorstehenden Todes der Betroffenen noch strengere Beweisanforderungen für die Feststellung des mutmaßlichen Patientenwillens gelten, als in anderen Fällen. Der Abbruch lebenserhaltender Maßnahmen setze auch nicht eine Grunderkrankung mit „irreversibel tödlichem Verlauf“ voraus, stellten die Richter klar. Für die Verbindlichkeit des tatsächlichen oder mutmaßlichen Patientenwillens komme es auf die Art und das Stadium der Erkrankung nicht an, entschied der BGH.

Die derzeitige Rechtsprechung sieht vor, dass der vermeintliche Wille anhand von Anhaltspunkten ermittelt werden kann, wenn eine schriftliche Verfügung nicht vorliegt. Diese Kriterien sind im Gesetz allerdings sehr vage formuliert. So heißt es: „Zu berücksichtigen sind insbesondere frühere mündliche oder schriftliche Äußerungen, ethische oder religiöse Überzeugungen und sonstige persönliche Wertvorstellungen“. Patientenschützer beklagen deshalb immer wieder, dass Ärzte den von den Angehörigen ermittelten mutmaßlichen Willen des Patienten nicht anerkennen. „Es gibt immer noch viele Ärzte, die sich nicht an die geltende Rechtslage halten“, kritisiert auch der Tübinger Medizinethiker Urban Wiesing.

Als Stärkung des Selbstbestimmungsrechts von schwerkranken Patienten sieht auch eine Gruppe von Parlamentariern ihren am Donnerstag präsentierten Vorschlag für eine Neuregelung der Sterbehilfe. Die Abgeordneten um Peter Hintze (CDU) und Karl Lauterbach (SPD) plädieren dafür, die ärztliche Beihilfe zum Suizid unter bestimmten Voraussetzungen zuzulassen.