Bilanz der Mai-Krawalle in Berlin: 273 Verletzte
Berlin/dpa. - Die schwersten Krawalle in Berlin seit Jahren haben die Hoffnungen auf einen friedlichen 1. Mai zunichte gemacht. Teils massive Angriffe rechter und linker Chaoten in ganz Deutschland lassen die Polizei von einer neuen Qualität der Gewalt sprechen.
Im Berliner Stadtteil Kreuzberg lieferten sich seit Freitagabend rund 2500 meist linke Randalierer stundenlange Straßenschlachten mit der Polizei. 289 Menschen wurden festgenommen. Im Vorjahr waren es mit 139 weniger als die Hälfte. Unter anderem durch Würfe von Steinen, Flaschen oder Böllern wurden 273 Polizisten zumeist leicht verletzt.
Die Gewaltbereitschaft war deutlich höher sei als früher, sagte Innensenator Ehrhart Körting (SPD) in einer Bilanz am Samstag. Zwei Beamte wurden laut Polizei mit einer brennbaren Flüssigkeit übergossen und fingen Feuer - die Flammen konnten schnell gelöscht werden, die Polizisten blieben unverletzt. «Das war eine andere Qualität als in den Vorjahren», betonte Körting. Mit sozialen Unruhen habe das aber nichts zu tun. «Die Randale stand im Vordergrund.»
In Dortmund ermittelt die Polizei gegen 280 Neonazis wegen Verdachts auf Landfriedensbruch. Die Rechtsextremen hatte eine DGB-Veranstaltung und Polizisten am 1. Mai mit Stangen und Steinen angegriffen. Die meist jungen Schläger waren aus Nordrhein-Westfalen und anderen Bundesländern nach Dortmund gekommen.
Der NRW-Verfassungsschutz hatte kürzlich vor den «Autonomen Nationalisten» gewarnt, einem relativ neuen Phänomen in der Neonazi-Szene. Sie kopieren nicht nur die spontanen Aktionsformen der linken Autonomen, sondern treten mit schwarzen Kapuzenpullovern auch optisch ähnlich auf. Ein Schwerpunkt dieser Gruppe in Nordrhein-Westfalen ist laut Verfassungsschutzbericht der Großraum Dortmund/Hamm.
In Berlin griffen linke Chaoten immer wieder die Polizei an und errichteten brennende Barrikaden. Vorwürfe, der Polizeieinsatz sei teilweise unkoordiniert gewesen, wiesen Körting und Polizeipräsident Dieter Glietsch zurück. 5800 Polizisten waren im Einsatz. Glietsch zeigte sich zuversichtlich, dass die Polizei so viele Beweise gesichert habe, dass es «zu einer hohen Zahl an Verurteilungen kommen» werde.
Nach dem Ende einer Demonstration am Freitag um 20.30 Uhr brauchte die Polizei an der U-Bahn-Station Kottbusser Tor etwa eine Stunde, um die Lage halbwegs unter Kontrolle zu bekommen. Die Gewalt war in diesem Jahr früher und heftiger als in den Vorjahren eskaliert. Die Sicherheitskräfte setzten Tränengas, Schlagstöcke und Pfefferspray ein.
Zu dem Feuer-Anschlag auf die beiden Polizisten sagte Körting: «Das ist schlichtweg verbrecherisch.» An einer anderen Stelle warf ein Mann zwei Brandsätze mit Benzin auf einen Polizeitrupp, verfehlte jedoch sein Ziel. Zuvor wurden zwei Polizisten vor ihren Autos an einer Feuerwache angegriffen. Einer erlitt laut Glietsch einen «massiven Schock».
«Das Klima ist rauer geworden», sagte Körting. Zuletzt sei es 2004 so schlimm gewesen. Anders als früher hätten sich jetzt kaum mehr Jugendliche an den Krawallen beteiligt, sondern meist «Mitt-Zwanziger». Unter allen festgenommenen Menschen, die zum großen Teil aus Berlin kamen, waren 17 Frauen.
Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Konrad Freiberg, sprach von «Menschenverachtung und Brutalität», die sich gezeigt hätten. Das Risiko für die Polizei bei solchen Einsätzen werde immer größer. Freiberg verwies darauf, dass es fast immer mehr verletzte Polizisten als Demonstranten gebe.
Besondere Sorge mache der Polizei auch, dass in mindestens sechs Städten am diesjährigen 1. Mai Polizisten und Gewerkschafter gezielt von rechten Schlägertrupps angegriffen worden seien. «Die Rechten haben sich die Polizei als neues Hassobjekt ausgeguckt, sie jagen Polizisten und suchen die gewalttätige Auseinandersetzung.»
Der Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund, Rainer Wendt, forderte in NDR-Info «verschärfte Strafen» für Gewalt gegen die Polizei. «Was wir gesehen haben, sind Mordanschläge auf Polizisten», sagte er mit Blick auf die Berliner Krawalle.
Die Ausschreitungen von Linksautonomen sind nach Ansicht des Soziologen Dieter Rucht kein Indiz für mögliche soziale Unruhen. «Auffällig ist aber, dass derzeit Teile der linksradikalen Szene vor Selbstbewusstsein strotzen und meinen, vor dem Hintergrund von Finanz- und Wirtschaftskrise mehr Verständnis in der Bevölkerung zu finden», sagte der Berliner Soziologie-Professor der dpa.
Auch im Hamburger Schanzenviertel kam es in der Nacht zum Samstag zu Krawallen. Hunderte Linksautonome randalierten im Schanzenviertel. Bei den Polizeieinsätzen wurden sechs Beamte leicht verletzt. 24 Demonstranten wurden in Gewahrsam, weitere 23 festgenommen.