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Besuch im Asylbewerberheim Besuch im Asylbewerberheim: Wie Sintflut und Dürre

Von Hendrik Kranert-Rydzy 23.12.2013, 07:48
Die Umgebung in der Zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende in Halberstadt ist trist, es fehlt an genügend Zimmern für die Asylbewerber.
Die Umgebung in der Zentralen Anlaufstelle für Asylsuchende in Halberstadt ist trist, es fehlt an genügend Zimmern für die Asylbewerber. Hendrik Kranert-Rydzy Lizenz

Halberstadt/MZ - Der Weihnachtsmann ist schon da. Einige Tage vor dem Fest. Er fragt nicht, ob alle Kinder artig waren. Das wäre in den meisten Fällen wohl sinnlos, er würde nicht verstanden werden. Statt des Weihnachtsmanns ruft Anja Rennwanz eine Nummer in den ellenlangen Flur: „Vierhundertundachtzehn.“ 418 ist eine junge Mutter mit drei Kindern. Das Jüngste vielleicht vier, der Älteste zwölf. Flüchtlinge aus Bosnien, die schüchtern mit dem Weihnachtsmann für ein Foto posieren.

Rennwanz ist Mitarbeiterin der Caritas in der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber in Halberstadt. Ein Monstrum an Wort, genauso monströs wie jene Anlage, die alle nur kurz Zast nennen. Man muss weit aus der Stadt am Harzrand hinaus fahren, um dorthin zu gelangen. Bis 1989 wurden hier die Soldaten für die Grenztruppen der NVA gedrillt; seit 1990 endet hier für Flüchtlinge aus aller Herren Länder vorläufig eine oft wochen- oder gar monatelange Odyssee. Da zaubert selbst der Weihnachtsmann, den viele der Flüchtlinge genau so wenig kennen, wie das Fest selber, ein Lächeln in die Gesichter. Erst recht, wenn es nach Tagen der Entbehrung Geschenke gibt, gespendet von der katholischen Gemeinde in Thale. Und nebenan bunte Tiermotive in die Kindergesichter geschminkt werden.

„Situation ist in der Tat schwierig“

Rennwanz ist trotzdem nicht zufrieden - es gibt zum zweiten Mal in Folge keine Weihnachtsfeier. „Wir wollen ihnen doch aber zeigen, wie wir leben, das fördert auch den Gemeinsinn.“ Rolf Harder sieht das nüchtern: „Christen sind hier die Ausnahme, diese können in Halberstadt in die Kirche gehen.“ Das mag in besinnlichen Tagen wie diesen hartherzig klingen - doch Harder hat ganz andere Probleme zu lösen. Es gibt nicht mal mehr Gebetsräume für die in der Mehrzahl muslimischen Flüchtlinge - weil der Platz fehlt.

Der freundlich-distanzierte Mann mit schlohweißem Haar und Hamburger Akzent ist seit über 20 Jahren Chef der Einrichtung. Im Frühjahr geht er in den Ruhestand, bis dahin will Harder noch so viel wie möglich für die „Zukunftssicherheit“ der Zast tun. Das tut Not, Harder macht kein Hehl daraus. Die Kritik, es herrschten „unhaltbare Zustände“ in der Zast, weist Harder zwar mit Nachdruck zurück. „Doch unsere Situation ist in der Tat schwierig.“

Der Grund: Die Flüchtlingszahlen steigen seit dem Jahr 2007 wieder an. In diesem Jahr werden es mehr als 3000 sein, damit ist die Zahl derer, die Harder mit seinen 22 Mitarbeitern aufnehmen, betreuen und nach durchschnittlich drei bis sechs Wochen auf die Landkreise verteilen müssen, um 70 Prozent gegenüber dem Vorjahr gestiegen. „Wir leben hier im Wesentlichen von Sintflut und Dürre“, beschreibt Harder plastisch die kaum zu prognostizierenden Flüchtlingszahlen. Nach einem Hoch Anfang der 1990er Jahre stoppte der sogenannte „Asylkompromiss“ die Zuwanderung auf dem Land- oder Seeweg fast völlig. Hinzu kam, so Harder, dass „die EU sich nach außen abriegelt“.

Zu spät auf Flüchtlingsstrom reagiert

Inzwischen steigen die Zahlen wieder deutlich und sind kaum berechenbar. Für 2014 hat ihm das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, das in der Zast einen Außenstelle betreibt, nicht einmal Prognosen nennen können. Die Zast platzt schlicht aus allen Nähten. Normalerweise kommen pro Monat höchstens 300 Menschen neu in die Zast, genau so viele werden im gleichen Zeitraum auf die Landkreise verteilt. Dazwischen liegen die Aufnahme, eine medizinische Untersuchung auf ansteckende Krankheiten wie Tuberkulose, HIV und Hepatitis, die erkennungsdienstliche Behandlung - und der Beginn des oftmals Monate oder Jahre dauernden Asylverfahrens.

Im Herbst aber kam das fragile System ins Wanken, die Zahl der Zugänge stieg auf bis zu 500 pro Monat. Viel zu spät, klagte die Linken-Politikerin Henriette Quade, habe das Land auf den wachsenden Flüchtlingsstrom reagiert. So kam es, wie es kommen musste: Vor ein paar Wochen reichten die Zimmer in den beiden Wohnblöcken nicht mehr, jedes der 800 theoretisch zur Verfügung stehenden Betten war belegt. Praktisch sei die Zast ohnehin nur mit 700 Menschen händelbar, sagt Harder, weil natürlich Rücksicht auf Familienverhältnisse und ethnische Besonderheiten genommen werden müsse.

Dennoch gibt es Zimmer, in denen nicht zwei oder drei Menschen leben, sondern bis zu sechs. „Wir können keinen obdachlos werden lassen, der vor unserem Tor steht“, sagt Harder. Deshalb hat er in der Not 40 Betten in der Turnhalle aufstellen lassen. In einer Turnhalle, die nur zwei Toiletten und zwei Duschen hat - und keine Trennwände dazwischen. „Natürlich waren wir mit der Situation nicht glücklich“, räumt Harder ein. Doch in den dritten Wohnblock, den es noch gibt, will Harder die Flüchtlinge nicht schicken. Noch nicht.

1,5 Millionen Euro investiert das Land

Das klingt zunächst paradox. Doch anders als in den Blöcken A und C ist Block B noch nicht saniert. Fenster und Türen sind undicht, die Elektroleitungen marode und in den Wasserleitungen können sich Legionellen vermehren. Das größte Problem ist aber der Brandschutz. Sicherheitseinrichtungen fehlen schlicht. Nicht auszudenken, wenn in einer der Teeküchen, in denen sich die Flüchtlinge auch Essen warm machen können, ein Topf auf der heißen Herdplatte vergessen wird.

„Das muss erst saniert werden“, bescheidet Harder deutlich. Die Vorbereitungsarbeiten laufen bereits, zwei der vier Etagen sollen 2014 bezugsfertig sein und Platz für weitere 200 Menschen bieten. 1,5 Millionen Euro investiert das Land. Harder wünscht sich, es wäre mehr, um gleich noch die anderen beiden Etagen mit auf Vordermann zu bringen.

Jetzt, kurz vor Weihnachten, hat sich die Situation etwas entspannt. Zusammen mit den Kreisen sei es gelungen, allein im Dezember 450 Flüchtlinge auf Heime in ganz Sachsen-Anhalt zu verteilen. Die Turnhalle kann wieder für ihren eigentlichen Zweck genutzt werden. „Ich kann aber nicht garantieren, dass das so bleibt“, sagt Harder, deshalb sollen demnächst 20 bis 24 Wohncontainer aufgestellt werden - übergangsweise, bis Block B saniert ist. „Und ab Februar“, sagt Harder sichtlich berührt, „habe ich auch endlich wieder einen Betreuer für den Kindergarten.“ Fast ein Jahr lang war er ungenutzt, weil die Stelle nur intern ausgeschrieben werden konnte. 2015 soll es dann auch einen Spielplatz im Freien geben. Endlich, schiebt Harder nach, auch wenn er dann nicht mehr Heimleiter sein wird.

In diesem Gebäude in Halberstadt sind die Asylbewerber untergebracht.
In diesem Gebäude in Halberstadt sind die Asylbewerber untergebracht.
Hendrik Kranert-Rydzy Lizenz