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Berlin Berlin: Zeitreise in die Frontstadt

Von Günter Kowa 21.09.2012, 17:35

Berlin/MZ. - Wenn von der Berliner Mauer die Rede ist, dann fällt früher oder später auch der berüchtigte Satz: "Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu bauen." Die bedeutungsschwangere Lüge, die der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht mit seiner Fistelstimme der Weltpresse im Juni 1961 auftischte, hört man auch in Yadegar Asisis jüngstem "Panometer", bevor ein kurzer, dumpfer Trommelwirbel durch das Dunkel rollt und "Die Mauer" in gleißendem Licht erscheint.

Oder vielmehr das gleichnamige Panoramabild, das dem Bauwerk so sehr wie dem Todesstreifen, den Peitschenlampen so sehr wie den Gaslaternen, dem Grenzregime so sehr wie dem Alltagsleben gewidmet ist - aus der Perspektive der Westseite, aber auch mit dem Blick von jenseits des Ostberliner Sperrgürtels.

Am Sonntag wird der schwarze Zylinderbau an der Kreuzung Friedrich- und Zimmerstraße eröffnet, die für alle Zeiten mit dem "Checkpoint Charlie" identifiziert werden wird. Mit ihm und der gegenüber jüngst eröffneten "Black Box" zum "Kalten Krieg" will der Senat mehr als zwanzig Jahre nach dem besinnungslosen Aufräumen in der Mauer-Stadt schrittweise das Vakuum füllen, in dem sich fotogene Klamauk-Wachsoldaten, ein privates Mauer-Gruselkabinett und ein Gewirr von Dönerbuden und Militaria-Ständen ausbreiteten.

Immerhin hat der Senat schon vor langer Zeit die Baugrundstücke mit kommentierten Schaubildern eingezäunt, die die Frontstadt-Ereignisse dieses Ortes täglich zigtausend Touristen aus aller Welt vor Augen führen. Dieses angeblich meistbesuchte Freilichtmuseum der Welt soll, wie auch das Trommelfeuer an Informationsmedien in der Black Box, der Vorläufer eines geplanten Museums sein. Die Verwirklichung hängt allerdings vom guten Willen der Spekulanten ab, denen der geschichtsträchtige Boden verkauft wurde.

Dem Panometer sind jedenfalls vorerst 19 Monate Existenzrecht eingeräumt. Die magische Zugkraft erlebbarer Zeitgeschichte wird ohne Zweifel die Scharen von der Straße hereinlocken, obwohl, oder gerade weil Yadegar Asisi, wie auch mit seinen Rundbildern von "Pergamon", dem "Alten Rom" oder dem "Barocken Dresden", alles andere als objektive Geschichte vorführt. "Die dokumentarische Richtigkeit ist nicht mein Ding", sagt der Künstler mit persischen Wurzeln. "Mich interessiert die atmosphärische Richtigkeit."

Und die weht den Betrachter vom ersten Moment an, mächtiger als in allen bisherigen Panoramen, die örtlich oder zeitlich weit entfernte Themen behandeln. Die perspektivische Sogwirkung seiner illusionistischen Kunst lässt jeden in der schaulustigen Menge erst einmal verstummen. Was man sieht, ist ein grauer, regennasser Tag im trüben Berlin der 80er Jahre. Der Ort an der Mauer liegt auch nicht am Checkpoint Charlie, und der Tag ist kein Geschichtsdatum, sondern einer, der im Schatten der Mauer kommt und geht.

"Ich erzähle eine Geschichte", sagt Asisi. "Ich rede über Menschen, die die sich arrangieren mit einer grausamen Realität." Dem Künstler steht dafür das eigene Erleben zur Verfügung, im Osten wie im Westen. Er wurde 1955 in Wien geboren, von persischen Eltern, die als Kommunisten vor dem Schah flohen und in der DDR Asyl fanden, zuerst in Halle, dann in Dresden. 1978 aber siedelte er zum Studium nach Westberlin um. Er ließ sich in Kreuzberg in einem Atelier mit Mauerblick nieder. Mit der Mauer, sagt er, lebte man, ohne sie noch wahrzunehmen - bis er sich dieses Verdrängens bewusst wurde.

So zeigt das Bild, mit einigen künstlerischen Freiheiten, denn auch Asisis damaligen Kreuzberger Kiez. Man vertieft sich in tausenderlei Einzelheiten ebenso wie in das Frontstadt-Lebensgefühl ganz allgemein: einem spießig-bierseligen, aber auch widerständig-alternativen, wie es in Westberlin Seite an Seite gedieh. Von fern freilich nimmt man auch die Ergebenheit im Ostberliner Alltag wahr. So kontrastiert die Schlange vor dem HO-Laden mit der üppigen Obstauslage des Westberliner Türkengeschäfts, das kleine verständnislos staunende Mädchen am Fenster eines der grenznahen Häuser mit den Jungs im Westen, die den Ball an die Mauer spielen. Mauermaler hier, Grenzer da, aber im Grunde läuft an und mit der Mauer ein Leben, dem das Monströse dieses Risses quer durch die Stadt egal ist.

Vieles ist auch mit feiner Ironie erzählt: Die prominent platzierte Eckkneipe, die "Gemütliche Ecke" heißt, oder das Graffito, das "Die Mauer muss weg" fordert, und zwar im Namen der "KPD-ML". Originaltonfetzen werden eingespielt, wie auch Honeckers Prophezeiung von 1989, die Mauer stehe noch "50 oder 100 Jahre": Wenn man sie in Asisis Regenpfützen gespiegelt sieht, hat dieses Wort rein gar nichts Absurdes an sich.

Geöffnet ab Sonntag täglich von 10 bis 20 Uhr