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Berlin Berlin: Gregor Gysi will Ethik für alle Schüler

24.04.2009, 12:08
Demonstranten ziehen mit einem Plakat durch Berlin, auf dem «Religionsunterricht bildet. Wir wählen gern.» zu lesen ist. (FOTO: DPA)
Demonstranten ziehen mit einem Plakat durch Berlin, auf dem «Religionsunterricht bildet. Wir wählen gern.» zu lesen ist. (FOTO: DPA) dpa

BERLIN/MZ - „Wenn Pro Reli verliert, dann können zunächst in weiteren Großstädten und danach in ländlichen Gegenden Diskussionen entstehen, ob es nicht sinnvoll ist, zusätzlich einen gemeinsamen Ethik-Unterricht für alle Schüler anzubieten“, sagte er der MZ.

Die Berliner stimmen am Sonntag in einem Volksentscheid darüber ab, ob an öffentlichen Schulen Religion als reguläres Schulfach alternativ zum Fach Ethik gewählt werden kann. Seit 2006 ist Ethik in Berlin vom siebten bis zehnten Schuljahr Pflicht für alle, Religion kann als freiwilliges Zusatzangebot gewählt werden. Mit Gregor Gysi sprach Markus Decker .

Herr Gysi, der rot-roteSenat hat Ethik-Unterricht für alle eingeführt.Wollen Sie die Kirchen unterbuttern?

GYSI: Nein, ganz im Gegenteil, wirsind eine Metropole mit vielen verschiedenenGlaubensrichtungen. Und die Verwaltungsgerichtehaben entschieden, dass die Kinder der verschiedenenGlaubensrichtungen Anspruch auf Religionsunterrichthaben – die katholischen ebenso wie die islamischenund die buddhistischen. Das ist in Ordnungund wird in Berlin wie in jedem anderen Bundeslandangeboten und bezahlt. Wofür wir uns eingesetzthaben, ist, dass alle Kinder zusammen im FachEthik über alle großen Religionen, Philosophienund Grundwerte in Toleranz zueinander erzogenwerden. Ich habe selbst eine Tochter. Sienimmt am Ethik-Unterricht teil und weiß schonmehr vom Islam als ich. Ich verstehe gar nicht,warum sich die Kirchen so aufregen. Ich findediesen Ethikunterricht ausgezeichnet. Zusätzlichkann jedes Kind Religionsunterricht nehmen.

Berlins evangelischer Bischof und sein katholischerKollege sagen, ihnen gehe es nur um Wahlfreiheit.Kann man dagegen etwas haben?

GYSI: Ja, weil es bedeutet, dass beispielsweiseein muslimisches Kind dann nur muslimischenReligionsunterricht hat. In ländlichen Regionenmag die Situation eine andere sein. In Berlinist der Ethikunterricht ein ungeheuer wichtigerAnsatz.

Der Chef von Pro Reli findet, wer wie seinschulpflichtiger Sohn 37 Wochenstunden habe,der fülle seine Freizeit nicht mit Religionsunterricht,sondern mit Fußball oder Eisdiele. Ist dasnicht nachvollziehbar?

GYSI: Der Wunsch des Sohnes ist ja vielleichtnachvollziehbar. Aber es gibt immer noch Elternund Lehrer, die einen entsprechenden Einflusshaben. Wir können im Übrigen gerne darüberreden, ob wir den Unterricht insgesamt entlastenmüssen. Aber der Ethikunterricht ist nichtzu viel. Meine Tochter hat jetzt einen Respektentwickelt, den sie vorher gar nicht hatte.Sie ist nicht religiös und kommt hervorragendaus mit Kindern, die religiös sind.

Wenn Sie gläubig wären, dann würden Sie auchdafür plädieren, dass Ihre Kinder zwischenEthik und Religion wählen können und nichtin einen Wischi-Waschi-Ethik-Unterricht gezwungenwürden.

GYSI: Ich würde bei meinen Kindern daraufbestehen, dass sie beides tun. Das ist dochkeine Katastrophe.

In Ostberlin ist der Anteil konfessionsgebundenerMenschen deutlich geringer als im Westteilder Stadt. Spielt das für Sie eine Rolle?

GYSI: Durch Ost-Berlin hat der Anteil nicht-religiöserKinder entscheidend zugenommen. Das stimmt.Aber die verschiedenen Glaubensrichtungenkommen eher aus dem Westteil der Stadt – etwadie muslimischen Kinder. Der größte Mangelder Abiturienten in der DDR bestand darin,dass sie in religiösen Fragen so ungebildetwaren. Die gingen zu den Alten Meistern inDresden und hörten Bach – und konnten mitden Hintergründen wenig anfangen.

Umso mehr müsste es doch Religionsunterrichtgeben.

GYSI: Nein, umso mehr müsste es ein Fachgeben, in dem alle über alle Religionen gemeinsamaufgeklärt und in Toleranz erzogen werden.

Hand aufs Herz: Spielen beim Berliner Senatnicht auch anti-kirchliche Reflexe der politischenLinken gegenüber zuweilen konservativen Religionsgemeinschafteneine Rolle?

GYSI: Bei mir nicht! Ich bin immer ein Menschgewesen, der gegenüber Religionen und Kirchentolerant aufgetreten ist. Aber die Pro Reli-Leutemöchten, dass wir den gemeinsamen Unterrichtstreichen und sagen entweder – oder. Ich findeentweder – oder hier aber falsch.

Hat die Entscheidung am Sonntag eine nationaleBedeutung?

GYSI: Wenn Pro Reli verliert, dann könnenzunächst in weiteren Großstädten und danachin ländlichen Gegenden Diskussionen entstehen,ob es nicht sinnvoll ist, zusätzlich einensolchen gemeinsamen Unterricht für alle Schüleranzubieten. Wäre das schlimm?