Kanzlerkandidaten im Wahlkampf Berlin: Angela Merkel und Martin Schulz beim Bundesverband der deutschen Industrie (BDI)

Berlin - Martin Schulz kommt nach der Mittagspause, da ist es vielen schon ziemlich warm geworden in ihrem Jackett. Das Konzerthaus am Berliner Gendarmenmarkt ist zwar ein ziemlich festlicher Ort für eine Jahrestagung, aber eben auch kein besonders gut klimatisierter. Nicht ganz ideal also, die Voraussetzung für einen Auftritt des SPD-Kanzlerkandidaten.
Und dann ist es auch noch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), vor dem er sprechen soll, politisch traditionell eher anderen zugeneigt. Schulz kommt nach der Mittagspause und erst einmal nimmt keiner groß Notiz von ihm. Ach, wenigstens der SPD-Wirtschafts-Staatsekretär Matthias Machnig sitzt in der ersten Reihe, dem kann er die Hände schütteln.
Guter Auftakt für Schulz
Der Saal wird dunkel, ein kurzer Spot zeigt Fabrikhallen und Baustellen und kündigt an: „Wir suchen die spannendsten Superlative.“ Es geht um Firmenwerbung, aber dann ist Schulz an der Reihe, und in dieser Abfolge ist das doch ein ganz freundlicher Auftakt für den SPD-Mann, auch wenn es vermutlich gar nicht so gemeint ist. Schließlich hat die SPD eine Steuerreform mit der Erhöhung des Spitzensteuersatzes vorgestellt.
Schulz sagt dann auch nichts über Superlative, er redet über die Kanzlerin, die am Vormittag geredet hat und hat einen guten Start: Merkel habe zunächst als Kanzlerin, dann als CDU-Chefin geredet, sagt er. „Ich schlage vor, ich mache es umgekehrt und starte als SPD-Vorsitzender und rede zum Schluss als künftiger Bundeskanzler.“
Der Saal lacht und applaudiert, mit Lockerheit kann Schulz hier erstmal punkten. Und auch mit der Ankündigung, er würde als Kanzler sofort die steuerliche Forschungsförderung ankurbeln – „nicht irgendwann, sondern sofort“. Der Nordrhein-Westfale Schulz wirbt mit seiner Erfahrung als Europapolitiker und mit seiner Herkunft - Kind einer Industrieregion und langjähriger „Bürgermeister einer Bergbaustadt“.
Lob für die Industrie
Sein Vorgänger Gerhard Schröder hat mit dem Titel „Genosse der Bosse“ zumindest eine Zeit lang Erfolg gehabt. Schulz lobt die Industrie für ihren guten Zustand und sagt: „Sicher gebührt dieser Verdienst auch uns Sozialdemokraten.“ Schröder nennt er da und seinen Vorgänger als Parteichef, Sigmar Gabriel. Auch die seit einem halben Jahr amtierende Wirtschaftsministerin Brigitte Zypries fällt ihm noch ein.
Das Publikum antwortet mit Schweigen, auch bei der schwungvoll vorgetragenen Forderung, Digitalisierung zur Chefsache zu machen und die Zuständigkeit für Internetthemen im Kanzleramt anzusiedeln.
Schweigen begleitet über lange Passagen auch den Auftritt Merkels. Bei ihrer Ankunft haben sich die Tagungsteilnehmer erhoben und applaudiert. BDI-Chef Kempf Dieter Kempf verkündete, er bewundere Merkel für ihre Ruhe und Gelassenheit. Er hat zuvor für „Sicherheit im Wandel“ plädiert und sich vor allem US-Präsident Donald Trump als Unsicherheitsfaktor ausgemacht.
Gelassene Bundeskanzlerin
Merkels Rede ist dann wirklich sehr ruhig und gelassen: der Ausstieg der USA aus dem Pariser Klimaschutzabkommen – bedauerlich. Offene Märkte – vorteilhafter als Abschottung. Der Ausstieg Großbritanniens aus der EU – „beschwert uns“. Flüchtlinge – Afrika müsse im Blick gehalten werden.
Zur Rentenpolitik sagt sie, ein Unions-Konzept sei nicht nötig: „Bei der gesetzlichen Rente haben wir bis 2030 die Reformschritte gemacht, die ich für notwendig halte.“ Bei der Steuerpolitik legt sie sich ein bisschen fest: Der Solidaritätszuschlag solle ab 2020 abgesenkt werden. Der entschlossenste Applaus setzt ein, als Merkel erklärt, die Erbschaftssteuer werde jetzt erst einmal unberührt bleiben.
Schulz bekommt Applaus für die Forschungsförderung und für seine Forderung, dem Bund die Finanzierung von Bildungsprojekten zu erlauben, auch wenn dafür per Grundgesetz die Länder zuständig sind. Still bleibt es, als er die CDU/CSU dafür kritisiert, das Rückkehrrecht von Teilzeit in einen Vollzeitjob blockiert zu haben, das vor allem für Frauen wichtig sei. Im Publikum sitzen vor allem Männer und viele Arbeitgebervertreter, die das mit dem Rückkehrrecht auch nicht so toll fanden. In seinem Manuskript stehe: „Da klatschen die nicht“, sagt Schulz. Da klatschen doch manche.