"Beratungsstelle Gegenwind" für DDR-Opfer "Beratungsstelle Gegenwind" für DDR-Opfer: DDR-Trauma erreicht auch Kinder

Berlin/MZ - „Die Aufarbeitung der Nazi-Diktatur wirkt bis heute“, sagt Stefan Trobisch-Lütge. „Und die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit wird auch noch ein paar Jahrzehnte dauern. Deshalb gehe ich davon aus, dass die Vernunft siegt und wir weiter unterstützt werden.“ Letzteres ist nicht sicher.
Bilder von einstigen Häftlingen
Wir befinden uns im Erdgeschoss eines Altbaus in Berlin-Moabit. Im Raum stehen Ikea-Möbel. An den Wänden hängen Bilder von Menschen, die zu DDR-Zeiten in Haft saßen. Sie zeigen Stacheldrähte, Wachtposten und Gefängnisse. Mitten dazwischen sitzt Trobisch-Lütge, Leiter der hier beheimateten „Beratungsstelle Gegenwind“ für traumatisierte DDR-Opfer. Deren aktuelles Problem besteht darin, dass sie noch sehr viel zu tun hat, ihre Finanzierung allerdings nur bis Ende 2106 gesichert ist. Um das Danach wird gerungen. Derzeit wird „Gegenwind“ vom Berliner Landesbeauftragten für die Stasi-Unterlagen, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur und vom Berliner Senat finanziert, genauer gesagt aus dem Mauerfonds, der sich aus dem Verkauf ehemals enteigneter Mauergrundstücke speist. Die Mittel aus dem Mauerfonds laufen im nächsten Jahr aus. Ob der Senat aus ihm eine weitere Tranche locker machen oder Geld aus dem regulären Haushalt zuschießen kann, darum geht es gerade.
Direkt nach dem Mauerfall, berichtet Trobisch-Lütge, habe sich eine große Zahl von Menschen an Jürgen Fuchs gewandt. Der inzwischen verstorbene Bürgerrechtler war Sozialpsychologe und hatte zeitweilig selbst in Haft gesessen. Fuchs war dem Ansturm allein nicht gewachsen, eine eigene Beratungsstelle musste her. 20 000 Menschen haben sich schon an „Gegenwind“ gewandt. Stets rufen neue an.
Die DDR-Traumatisierten prägt, dass sie gedanklich an den traumatischen Erlebnissen festhängen - und sehr misstrauisch sind. Die Erinnerungen schießen oft kaum steuerbar ins Bewusstsein. Und dann gibt es die Re-Traumatisierungen, die aus der Tatsache herrühren, dass Betroffene ihre Leiden nicht ausreichend anerkannt sehen und das Gefühl haben, für viele sei das Thema 25 Jahre nach dem Mauerfall abgehakt. Für sie bietet Gegenwind niedrigschwellige Angebote: Gruppengespräche, Maltherapien, Trauma-bezogenes Yoga, einen Therapiegarten.
Auch die Kinder sind betroffen
Längst sind die Kinder der Traumatisierten hinzugekommen. Sie beschäftigten sich oft so stark mit dem Schicksal der Eltern, dass sie „fast so ein bisschen Stasi-verhörtechnisch“ agierten, erläutert der Fachmann. Besonders schwer, Abstand zu halten, ist es für jene Kinder, bei denen das eine Elternteil Inoffizieller Mitarbeiter bei der Stasi war und das andere Elternteil bespitzelt hat.
Von den rund 300 000 zu DDR-Zeiten Inhaftierten seien etwa ein Drittel traumatisiert, sagt Stefan Trobisch-Lütge. Der Bedarf für die Beratungsstelle, die bundesweit angefragt wird, sei also unverändert da, meint er. Der Leiter von „Gegenwind“ hofft daher, dass es eine finanzielle Lösung seitens des Berliner Senats oder des Abgeordnetenhauses geben wird. Die Gespräche laufen.
