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Ursprünge der islamistischen Gewalt Belgien ist überall: Ein Kommentar zu den Terror-Anschlägen in Brüssel

Von Peter Riesbeck 22.03.2016, 23:00
In Brüssel versammeln sich am Mittwoch Trauernde, sie zünden Kerzen an, gedenken der Opfer der feigen Anschläge.
In Brüssel versammeln sich am Mittwoch Trauernde, sie zünden Kerzen an, gedenken der Opfer der feigen Anschläge. EPA

Halle (Saale) - Viele Fragen nach dem Terrorangriff von Brüssel sind noch offen. Einig waren sich Experten nur in einem: Die Frage war nicht, ob Belgiens Hauptstadt von einem Anschlag getroffen wird, sondern wann. Über den Zeitpunkt herrscht nun traurige Klarheit. Über die Ursachen weniger.

Der erste Blick geht nach Belgien. Erst im 19. Jahrhundert wurde der Staat geschaffen. Als europäischer Puffer gegen Frankreich fanden sich Flamen und Wallonen 1815 erst unter der Obhut der Niederländer wieder, gegen die sie 1831 zusammen rebellierten. Das war es aber auch schon fast an Gemeinsamkeiten. Die Folge ist ein schwaches Zentrum. Und was für Belgien im Allgemeinen gilt, gilt für Brüssel im Besonderen. 19 Teilgemeinden formen ein Ganzes. Auch die Polizeizuständigkeiten sind aufgesplittert: ein Chaos an Zuständigkeiten.

Schon nach den Pariser Anschlägen vom November schauten Europa und die Welt auf die Brüsseler Teilgemeinde Molenbeek. Reichlich spät. Der islamistische Terror erreichte Europas Mitte nicht erst mit den jüngsten Anschlägen. Schon im Januar 2014 hatte die belgische Polizei eine Terrorzelle in Verviers an der Grenze zu Deutschland entdeckt. Es gab zwei Tote. Auch damals führte die Spur nach Molenbeek. Vor zwei Jahren hatte der Syrien-Rückkehrer Mehdi Nemmouche in Brüssel bei einem Anschlag auf das Jüdische Museum vier Menschen erschossen. Es war der 24. Mai 2014. Der Tag vor der Europawahl. Das war der eigentliche Anschlag auf Europas Herz. Nur mochte damals niemand hinsehen. Auf den aufkeimenden Bürgerkrieg in Syrien. Auf die mangelnde Anti-Terrorzusammenarbeit der EU-Staaten. Und auf das Brüsseler Viertel Molenbeek.

Der Kiez steht für laxe belgische Verwaltung. Und als Folie für die islamistische Radikalisierung Jugendlicher. Zuwandererviertel seit dem 19. Jahrhundert, die letzte Welle der Einwanderer kam in den 60er Jahren, als die Wirtschaft anfing zu kriseln. Die Hoffnung von Arbeit und Aufstieg versiegte.

Das war überall in Europa so. In Belgien gab es zwei Besonderheiten: Die letzte Welle der Zuwanderer kam aus nordafrikanischen Staaten, eine laizistische Tradition wie in der Türkei lag ihnen fern. Religion und Staat fielen zusammen. Der zweite Umstand liegt in Belgiens flämisch-wallonischer Plattentektonik begründet. Mit dem Niedergang der wallonischen Stahlindustrie verschob sich nicht nur die wirtschaftliche Macht nach Flandern, sondern auch die sprachliche. Französisch war stets die Sprache der Aufsteiger. Nun aber galt: Wer Karriere machen wollte, musste Niederländisch reden. Zweiter Nachteil für Zuwanderer aus dem frankophonen Nordafrika.

Die sozioökonomischen Umstände erklären vieles. Aber nicht alles. Der Soziologe Oliver Roy spricht von einer „Islamisierung der Radikalität“. Das gilt auch für Frankreich und andere EU-Staaten. Der Islam ist zu einer Art religiöser Befreiungsideologie einer demoralisierten Jugend in Europas Problemkiezen geworden.

Belgien ist ein Sonderfall. Aber Belgien ist überall.

Den Autor erreichen Sie unter: [email protected]