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Baden-Württemberg Baden-Württemberg: Früherer Ministerpräsident Hans Filbinger ist tot

Von Edgar Neumann 02.04.2007, 15:17
Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger im Oktober 1971 auf dem CDU-Bundesparteitag in Saarbrücken. (Foto: dpa)
Der damalige baden-württembergische Ministerpräsident Hans Filbinger im Oktober 1971 auf dem CDU-Bundesparteitag in Saarbrücken. (Foto: dpa) dpa

Stuttgart/dpa. - Filbinger hatte das Land von Dezember 1966 bis August1978 regiert. Wegen seiner Tätigkeit als Marinerichter am Ende des Zweiten Weltkrieges war er von seinem Amt zurückgetreten. Er selbst hatte die Vorwürfe stets zurückgewiesen und von einer politisch gesteuerten Rufmordkampagne gegen ihn gesprochen.

Hans Filbinger konnte die Schatten der Vergangenheit nie abschütteln. Fast zwölf Jahre lang regierte er als Ministerpräsident Baden-Württemberg und holte zwei Mal die absolute Mehrheit für die CDU. Doch was am Ende bei den meisten hängen blieb, war der Grund für seinen Rücktritt im Jahr 1978: Filbinger hatte in der NS-Zeit als Marinerichter an vier Todesurteilen beiKriegsgerichtsverfahren mitgewirkt. Immer wieder sorgte der CDU-Politiker für öffentliche Debatten, weil er jede Schuld von sichwies. «Ich blicke nicht im Zorn zurück», sagte Filbinger im Sommer2003 bei seinem 90. Geburtstag. Am Sonntag ist er im Alter von 93Jahren in seiner Heimatstadt Freiburg gestorben. Anfang 1978, auf dem Höhepunkt seiner politischen Karriere, wirdFilbinger sogar noch für das Amt des Bundespräsidenten gehandelt.Doch dann kommt der Absturz. Auslöser ist im Februar 1978 ein Beitragdes Schriftstellers Rolf Hochhuth in der Wochenzeitung «Die Zeit».Dadurch wird die Mitwirkung Filbingers an Todesurteilen gegendeutsche Soldaten bekannt. Mit einer Klage vor dem StuttgarterLandgericht hat der Ministerpräsident nur teilweise Erfolg. Hochhuthdarf weiter behaupten, Filbinger sei als «Hitlers Marinerichter» ein«furchtbarer Jurist» gewesen und habe «sogar noch in britischerGefangenschaft nach Hitlers Tod einen deutschen Soldaten mit Nazi-Gesetzen verfolgt». Nach und nach werden vier Todesurteile bekannt, an denen Filbingermitgewirkt hatte, darunter der Fall des Matrosen Walter Gröger. Dasvon Filbinger beantragte Todesurteil gegen Gröger wegen Fahnenfluchtwurde in Gegenwart des Marinerichters vollstreckt. Zwei weitere vonihm so bezeichnete «Phantomurteile» ergingen gegen Deserteure imsicheren Schweden. Ein viertes Todesurteil wurde auf sein Betreibenumgehend in eine achtjährige Freiheitsstrafe umgewandelt. Der Regierungschef muss die Fälle Stück für Stück eingestehen. Inder CDU stößt vor allem sein Umgang mit den Vorwürfen auf Kritik: Bisheute sieht er sich als Opfer «einer politisch gesteuertenRufmordkampagne». Am 7. August 1978 gibt Filbinger seinen Rücktrittvom Amt des Ministerpräsidenten bekannt. Seine Parteiämter, unteranderem als CDU-Bundesvize, übt er noch geraume Zeit aus. Bis zumletzten Tag ist er Ehrenvorsitzender der Südwest-CDU. Dass die Partei den umstrittenen Politiker nie ganz fallen ließ,hat Gründe. Er verkörpert in den 70er Jahren das Bild vom idealen«Landesvater». Der Jurist tritt 1951 in die CDU ein und gehört von1960 bis 1980 dem Landtag an. Er wird zunächst Innenminister und 1966Nachfolger von Ministerpräsident Kurt Georg Kiesinger (CDU), alsdieser zum Bundeskanzler gewählt wird. Mit Filbinger weicht die CDU/FDP-Koalition in Stuttgart einergroßen Koalition aus CDU und SPD. Als deren größte Leistung wird eineumfassende Kreis- und Verwaltungsreform angesehen, die Filbinger nurgegen massive Widerstände durchsetzen kann. Denn die Zahl derLandkreise wird von 63 auf 35 verringert. Bei der anschließendenGemeindereform bleiben von ehemals 3400 eigenständigen Kommunen1110 übrig. Filbinger wird drei Mal als Regierungschef bestätigt. 1972 erringter erstmals für die Südwest-CDU 52,9 Prozent und damit die absoluteMehrheit. Vier Jahre später erreicht die CDU mit ihm ihren Zenit imSüdwesten; sie kommt auf 56,7 Prozent der Stimmen. Auf Bundesebenegehört Filbinger zu den schärfsten Kritiker der sozialliberalenRegierung unter Willy Brandt. Er prägt entscheidend den Wahlslogan«Freiheit oder Sozialismus». Für die Ökologiebewegung in Deutschland gilt der konservative CDU-Politiker als unfreiwilliger Geburtshelfer: Als er versucht, imsüdbadischen Wyhl ein Atomkraftwerk bauen zu lassen, erhebt sich diedortige Bevölkerung zum Protest. Die AKW-Pläne scheitern letztlich,weil sich die Umweltschützer zum Widerstand organisiert hatten.