Asylbewerber in Tröglitz Asylbewerber in Tröglitz: Landrat nennt Details zur Unterbringung

Tröglitz - Es ist ein schöner Satz, den Andy Haugk da sagt, und er könnte als eine Art Handlungsanweisung über diesem Abend stehen: „Wir können alle dagegen sein, aber am Ende kommen die Asylbewerber trotzdem, also ist es doch besser, wir nehmen das Heft des Handelns in die Hand.“ So haben sie es in Hohenmölsen gemacht. Sie haben, berichtet der parteilose Bürgermeister der Stadt im Burgenlandkreis, eine Willkommensinitiative gegründet, 15, 20 Leute, die den Flüchtlingen helfen wollen sich einzuleben. Sie haben runde Tische gegründet, für verschiedene Themen, von der medizinischen Versorgung bis zum Schulbesuch. Sie haben Spenden gesammelt, Kleidung und Möbel. Sie sind vorbereitet, die Asylbewerber können kommen. Heute ist es soweit.
Tröglitz wurde im Jahr 1937 erbaut, als Wohnsiedlung für Arbeiter der damaligen Braunkohle-Benzin-AG. Heute gehört Tröglitz zur Gemeinde Elsteraue im Burgenlandkreis. In Tröglitz leben rund 2.700 Menschen. (Quelle: Wikipedia)
Der Burgenlandkreis will in Tröglitz 40 Flüchtlinge in einem Mehrfamilienhaus unterbringen. Nachdem bereits Gerüchte im Umlauf waren, organisierten mehrere NPD-Mitglieder jeden Sonntag Anti-Asyl-Demonstrationen. Eine engagierte Gruppe um Ortsbürgermeister Markus Nierth lud derweil zu Friedensgebeten in die Kirche ein.
Am 5. März 2015 trat Markus Nierth von seinem Amt als Ortsbürgermeister zurück, weil Rechtsextremisten und Gegner der Asylbewerberunterkunft im Ort vor seinem Haus demonstrieren wollten. Nierth fühlte sich und seine Familie nicht ausreichend geschützt und von Behörden und Politik im Stich gelassen.
Sachsen-Anhalt werden rund 2,8 Prozent aller Asylbewerber zugewiesen, 9,1 Prozent davon werden in den Burgenlandkreis ziehen.
Landrat Ulrich (CDU) rechnet 2015 mit 650 Flüchtlingen, die der Burgenlandkreis aufnehmen muss, es könnten auch über 1.000 werden.
Der Kreistag hat beschlossen, auch in anderen Städten Flüchtlinge unterzubringen, darunter in Naumburg, Eckartsberga und Hohenmölsen.
Im Burgenlandkreis liege die Ausländerquote derzeit bei 0,49 Prozent, in der Gemeinde Elsteraue bei 0,51 Prozent.
Laut Landrat Ulrich steht noch nicht fest, was für Asylbewerber nach Tröglitz kommen. Er geht davon aus, dass es sich überwiegend um Familien handelt.
Im Haushalt des Burgenlandkreises sind rund 6,1 Millionen Euro für die Unterbringung von Asylbewerbern eingeplant.
Die Kreisverwaltung bemüht sich nach Angaben des Landrates zurzeit, dass sich neben der einen Ärztin ein weiterer Arzt in Tröglitz niederlässt. Mit dem Zeitzer Klinikum sei vereinbart, dass es die medizinische Versorgung der Asylbewerber übernimmt.
Vor dem Versammlungsort verteilten Bürger eine „Tröglitzer Erklärung“, in der ein friedliches Miteinander in der 2.700-Einwohner-Gemeinde gefordert wird.
Im Präsidium saßen neben dem Landrat: Susi Möbbeck, die Integrationsbeauftragte des Landes Sachsen-Anhalt, sowie Bürgermeister aus der Region, darunter von Eckartsberga und Hohenmölsen. In beiden Gemeinden gab es bereits solche Diskussionen wie hier in Tröglitz.
Haugk erzählt das am Dienstagabend in Tröglitz, nicht weit von seiner Stadt entfernt. Auch dort werden, voraussichtlich im Mai, 40 Flüchtlinge erwartet. An diesem Abend im Hyzet-Kulturhaus hat Landrat Ulrich Götz (CDU) zur Einwohnerversammlung geladen, um über Einzelheiten zu informieren. Eigentlich eine Veranstaltung, wie sie es wegen der steigenden Flüchtlingszahlen derzeit landauf, landab dutzendfach gibt.
Doch die 2 700-Einwohner-Gemeinde bei Zeitz ist etwas Besonderes: Erst gab es, angeführt von einem Kreistagsabgeordneten der rechtsextremen NPD, wochenlang Proteste gegen die Entscheidung. Die Teilnehmer: Neonazis aus der Region, aber auch Bürger aus Tröglitz. Dann trat Anfang März der ehrenamtliche Ortsbürgermeister Markus Nierth zurück, nachdem die Gegner der Asylunterkunft vor seinem Haus hatten protestieren wollen. Nierth sah sich und seine Familie nicht ausreichend geschützt; von der Politik und den Behörden fühlte er sich im Stich gelassen. Später erhielt Nierth sogar Morddrohungen per Mail und Brief. Das Landeskriminalamt ermittelt.
Bundesweites Aufsehen
Der Fall erregte bundesweit Aufsehen, Tröglitz stand über Nacht im Mittelpunkt des Medieninteresses. Mittlerweile herrscht im Ort gespannte Ruhe. Die Asyl-Gegner haben auf ihre verharmlosend „Lichterspaziergänge“ genannten Aufmärsche zunächst verzichtet. Doch viele Einwohner fürchten, dass die Neonazis wiederkommen und provozieren werden, wenn die Flüchtlinge erst einmal da sind. Manche in Tröglitz sind auch verunsichert, weil außer der Zahl der Asylbewerber und dem geplanten Ankunftstermin im Mai noch gar nichts feststeht - weder ob es Familien sein werden oder Alleinstehende noch ihre Herkunft. Diese Ungewissheit kann auch Götz am Dienstagabend nicht nehmen, aber er verspricht: Der Kreis und das Land würden sich um Familien bemühen.
Weitere Informationen zur Einwohnerversammlung in Tröglitz lesen Sie auf Seite 2.
Dafür wartet der Landrat mit einer Menge Zahlen auf: wie viele Asylbewerber das Land in diesem Jahr voraussichtlich wird aufnehmen müssen (7 100), wie viele der Burgenlandkreis (650), wie hoch im Kreis der Bevölkerungsanteil an Bürgerkriegsflüchtlingen, Asylbewerbern und Geduldeten ist (0,49 Prozent). Eine halbe Stunde redet der Kommunalpolitiker, er kündigt einen Sozialarbeiter an, der mindestens zwei Sprachen sprechen soll, und einen Wachdienst für das Haus, in dem die Flüchtlinge untergebracht werden sollen.
Asyl-Gegnern den Wind aus den Segeln genommen
Das sind, soweit bekannt, die nackten Fakten. Und dann nimmt Götz Ulrich den Tröglitzer Asyl-Gegnern den Wind aus den Segeln. Von sich aus, ohne dass ihn jemand gefragt hätte, erklärt er, warum er erst heute hier steht, wo das Thema den Ort doch schon seit Wochen beschäftigt: Eben weil er Fakten nennen will und keine Spekulationen verbreiten. Weil der Kreistag der Unterbringung erst vor zwei Wochen zugestimmt hat. Ulrich nimmt auch den Einwand vieler Kritiker auf, vorher nicht gefragt worden zu sein. Er als Landrat, sagt er, und der Kreistag seien von den Bürgern auch dafür gewählt worden, Entscheidungen wie die Unterbringung von Asylbewerbern zu fällen. „Das halte ich nicht für undemokratisch.“ Bei den nächsten Wahlen, der Landrat sagt das ganz ohne Ironie, könnten die Bürger ja entsprechend reagieren. „Aber jetzt tragen wir Verantwortung.“
„Man hat die Spaziergänge in Tröglitz immer auf den einen Mann von der NPD reduziert. Mich hat es verletzt, wenn ich in den Medien gelesen habe, dass ich ein Nazi bin."
„Ich möchte mich ganz herzlich beim zurückgetretenen Ortsbürgermeister Markus Nierth bedanken. Er hat das hier ins Rollen gebracht. Wir alle sind Menschen, und wir können und wollen uns nicht verschließen. Wir haben alle genug Probleme. Packen wir sie gemeinsam an."
„Wir wissen nicht, wer kommt, aber wenn es Probleme gibt, werden wir da sein.“
„Wir haben uns bemüht, einen zusätzlichen Arzt hierher zu bekommen. Wir stehen kurz vor einer Entscheidung, aber ich kann sie noch nicht vermelden.“
„Wir müssen die Flüchtlinge auch darauf vorbereiten: Andere Länder, andere Sitten.“
„Wir haben als Deutsche wegen unserer Geschichte eine besondere Verpflichtung. Deshalb haben die Gründerväter der Bundesrepublik das Asylrecht ins Grundgesetz geschrieben."
„Es muss Arbeit und einen vernünftigen Lohn geben, und zwar für alle.“
„Die Obdachlosen in Deutschland bekommen aber nichts.“
„Auch jeder Obdachlose hat Anspruch auf Leistungen.“
„Wer wird da vor wem geschützt? Die Bürger vor den Asylbewerbern oder die Asylbewerber vor den Bürgern?“ (über den geplanten Wachdienst)
„Ich mache sicher auch Fehler, aber ich teile die Angst nicht, wenn 40 Menschen in einen Ort von 2.700 Menschen kommen. Ich traue den Tröglitzern und anderen Menschen im Burgenlandkreis durchaus zu, das zu meistern."
„Ich habe noch nicht gemerkt, dass von den Menschen irgendwelche Unruhe ausgeht. Wir haben jetzt mehr Kinder in der Schule und im Kindergarten, was für beide gut ist.“
„Im Haushalt des Landkreises und des Jobcenters haben wir ein Haushaltsvolumen von 400 Millionen Euro. Davon geben wir alleine 173 Millionen im Jahr für Betreuung der Hartz-IV-Empfänger aus. Das ist richtig und wichtig, aber auch das stellt uns vor Herausforderungen."
„Wie sicher sind diejenigen, die sich ehrenamtlich engagieren, vor politisch motivierten Taten?“
„Der beste Schutz gegen Bedrohung und Einschüchterung ist die Solidarität und der Zusammenhalt all derer, die sich engagieren. Da sind wir alle gefragt. Ein Flüchtling, der schnell in Arbeit kommt, kostet uns nichts, sondern bringt sich ein, ökonomisch und anderweitig."
„Ich wünsche uns, dass es in Tröglitz gelingt und dass die Fernsehteams, die hier stehen, in einem Jahr wiederkommen und berichten können: Es hat doch geklappt in Tröglitz."
„Es kommen viele Spenden aus ganz Deutschland. Das ist ein positives Zeichen, dass Menschen aus ganz Deutschland sich dieses Ortes annehmen. Das sollte uns allen Ermutigung sein."
„Es gibt in Tröglitz ein klares mehrheitliches Signal, die Integration zu unterstützen. Aber es gibt auch, das ist auch deutlich, eine politisierte Minderheit, die von der NPD instrumentalisiert wird.“
„Es war gut, wie es heute gelaufen ist, aber es brodelt hier eben auch, und der Druck ist sicherlich nicht ganz raus.“
Es ist eine Art Vorwärtsverteidigung, und sie trägt wohl dazu bei, dass es an diesem Abend gar nicht erst so turbulent wird wie von Ulrich vorher selbst erwartet - nach Erfahrungen mit anderen Veranstaltungen dieser Art.
Ja, auch die Kritiker treten auf, als die Mikrofone freigegeben werden. Der Mann, der murrt, die Flüchtlinge bekämen alles, „und wir Deutschen nichts“. Der NPD-Kreistagsabgeordnete, der befürchtet, der Wert der Grundstücke in Tröglitz werde sinken. Götz Ulrich nimmt Einwürfe dieser Art souverän auseinander, indem er Zahlen und Fakten nennt. Oder er geht gar nicht erst darauf ein. Stets hört er geduldig zu, lächelt, bewahrt die Ruhe. Bloß nicht provozieren lassen. Er hat Erfolg damit.
Bürger aus Tröglitz haben unterdessen eine Erklärung erarbeitet, mit initiiert vom evangelischen Pfarrer Matthias Keilholz. Sie rufen darin auf, die Asylbewerber willkommen zu heißen und ihnen freundlich gegenüber zu treten. Vor Beginn der Versammlung steht Keilholz an einem runden Tisch vor dem großen Saal des Hyzet-Klubhauses, die Erklärung vor sich und Unterschriftenlisten, die sich langsam füllen. Die Zahl der Menschen in Tröglitz wächst, die den Flüchtlingen helfen wollen, sich in ihrem neuen Leben zurechtzufinden. Ganz im Sinne eines alten Mannes, der später im Saal daran erinnern wird, dass der Ort schon nach dem Zweiten Weltkrieg viele Vertriebene aufgenommen hat: „Wir sollten Solidarität mit denen üben, die vor Krieg flüchten!“ Noch so eine Handlungsanweisung. (mz)

