Argentinien Argentinien: Ein «Taubenhäuschen» für Straßenkinder
Buenos Aires/dpa. - Für Javier ist das harte Leben auf der Straßezum Glück Vergangenheit. «Dort gibt es keine Regeln und Gesetze undjeder Tag ist ein Kampf ums Überleben», erzählt er mit ernstemGesicht. In der «Casita de la Paloma» (Taubenhäuschen), einerTagesstätte für Straßenkinder in der argentinischen Metropole Buenos Aires, fand er vor 13 Jahren ein neues Zuhause. Damals war er erstzwölf Jahre alt und hatte wie zehntausende andere seines Alters schonjahrelang auf der Straße gelebt.
In der Einrichtung in dem besonders armen Stadtteil San Justofinden 65 Kinder und Jugendliche aus ärmsten Verhältnissen unter derWoche ein neues Heim. In dem potenziell reichen Land, in dem aberfast die Hälfte der Menschen unterhalb der Armutsgrenze lebt, wurdenviele von ihren Eltern einfach ausgesetzt. Andere wurden Opfersexueller Gewalt. Einige gerieten auch schon mit dem Gesetz inKonflikt. Straßenkinder schlagen sich als Müllsammler und Bettlerdurch und schlafen nachts in Pappkartons.
Von der Gesellschaft werden sie meist als störend und bedrohlichempfunden. Die Mehrheit versucht, an ihnen vorbeizusehen und sie zuvergessen. Die Mitarbeiter der «Casita» aber, die von der Deutsch-Evangelischen Gemeinde getragen wird und mit dem Kinderhilfswerk derDritten Welt in Deutschland zusammenarbeitet, versuchen, den KindernGeborgenheit und Hilfe in allen Lebenslagen zu bieten.
In der «Casita» bekommen die Kinder alles, was zum Leben notwendigist. Neben sauberer Kleidung und gesundem Essen wird vor allem aufErziehung geachtet. Auch der Kontakt zu den Familien soll möglichstwieder hergestellt werden, «denn eine schlechte Familie ist immernoch besser als gar keine», betont die Leiterin Susana Mai. «Vieleder Kinder haben nur noch ein Elternteil, eine Tante, einen Bruderoder Nachbarn, einige schlafen allerdings lieber auf der Straße, alsdorthin zu gehen», erzählt Mai.
Neuerdings werden die Mütter der Kinder auch durch Handarbeits-und Friseurkurse in die Arbeit miteinbezogen. «Die Mütter, die meistselber auf der Straße lebten, sollen neue Umgangsformen lernen, diesie dann auf die gesamte Familie übertragen», hofft CarolinaMagliotto, die Leiterin des Mutterprogramms. Um die Kinder in ihreViertel wieder einzugliedern, wird außerdem mit Schulen,Bürgerinitiativen und anderen Institutionen zusammengearbeitet.
«Oberstes Ziel ist es, dass die Kinder zur Schule gehen. Viele vonihnen haben noch nie eine Schule von innen gesehen», erzählt Susana.Um nach dem Unterricht in die «Casita» zu gelangen, bekommen dieKinder Fahrgeld für den Bus. Nachmittags werden Hausaufgaben gemachtund kleine «Lernwerkstätten» angeboten, in denen die KinderTätigkeiten wie Schreinern, Brotbacken oder Plastiktüten herstellenlernen.
Dabei machen sie erste Erfahrungen mit der Arbeitswelt und lernenneben Disziplin auch soziale Umgangsformen. Die Mitarbeit der Kinderim Haushalt soll außerdem dazu beitragen, sie mit Alltagsaufgabenvertraut zu machen. «Sie sollen lernen, ihr Leben in die eigene Handzu nehmen», beschreibt eine Mitarbeiterin das Ziel. Einige Kinderschaffen es und arbeiten später in Supermärkten, Tütenfabriken oderSicherheitsfirmen.
«Es lässt sich nicht alles im Leben der Kinder ändern, aberzumindest die kleinen Dinge», sagt Susana bescheiden. Javier aber hates geschafft. Mittlerweile hat er einen Schulabschluss in der Tascheund arbeitet selber als Erzieher in der Tagesstätte. «Die Casita hatmein Leben total verändert, und nächstes Jahr möchte ich an derUniversität Sozialarbeit studieren», erzählt er mit leuchtendenAugen. «Hier gibt es eine Alternative zum Leben auf der Straße.»