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Arbeitsbelastung bei Politikern Arbeitsbelastung bei Politikern: "Faulpelze" ohne Feierabend

Von Holger Schmale 31.07.2013, 06:05
Matthias Platzeck ist dem hohen Druck nicht mehr gewachsen.
Matthias Platzeck ist dem hohen Druck nicht mehr gewachsen. dpa Lizenz

Berlin/MZ - Das zentrale Zitat in der Rücktrittserklärung von Matthias Platzeck (SPD) stammte von seinem Arzt. „80 Stunden - vergiss es“, habe der zu ihm gesagt. Unter 80 Stunden in der Woche aber sei das Amt eines Ministerpräsidenten nicht zu bewältigen. 80 Stunden pro Woche – das sind bei einer Siebentagewoche auch noch mehr als zehn Stunden am Tag. Und sieben Tage in der Woche sind Spitzenpolitiker oft im Einsatz. Freie Tage, Wochenenden, kennen sie bis auf wenige Wochen Ferien im Jahr nicht. Was treibt Menschen an, so zu leben? Und können Politiker uns unter solchen Bedingungen noch gut regieren?

Diejenige, die den härtesten von allen Politiker-Jobs in Deutschland hat, ist davon überzeugt. Angela Merkel (CDU) hat auf ihrer Sommerpressekonferenz vor ein paar Tagen einiges darüber blicken lassen, wie sie funktioniert, wie wahrscheinlich die meisten Männer und Frauen funktionieren, die in Spitzenjobs der Politik arbeiten. „Ich finde, dass die Arbeit der Bundeskanzlerin dahingehend eine sehr schöne und inspirierende Arbeit ist, dass man immer wieder neue Probleme hat“, sagte sie vor der Bundespressekonferenz. „Sie lachen darüber, aber wer das nicht aushält, der kann nicht Bundeskanzler sein.“ Ein Schlüsselsatz.

Und weiter: „Es ist wirklich etwas, das in der Tätigkeit in der Politik ja ganz herausragend ist, dass man morgens oft ins Büro geht und nicht weiß, was im Laufe eines Tages passieren und geschehen wird. … Insofern lerne ich jeden Tag auch sehr viel. Es ist also nicht nur so, dass ich den Menschen etwas gebe, sondern das ist auch etwas, was ich als sehr bereichernd empfinde.“

Tagesablauf zwischen 7.30 Uhr und nach 22 Uhr

Angela Merkel betrachtet ihre Arbeit also nicht als Last sondern als ständige neue, befriedigende Herausforderung. Wer so arbeitet, kann daraus immer neue Kraft ziehen, es ist ein Perpetuum Mobile: „Mit der Erholung bei der Bundeskanzlerin ist es so, dass der sicherste Weg sowieso der ist, dass man sich während der Arbeit erholt. Dann hat man immer sichere Erholung. Da mir die Arbeit Freude macht, macht es mir auch nichts aus, dass ich immer Bundeskanzlerin bin.“ Sie fühlt sich einfach immer im Dienst.

Es herrscht in Deutschland ein merkwürdiges Missverhältnis zwischen dem geringen öffentlichen Ansehen vieler Politiker, dem Vorwurf, sie seien Abzocker, Faulpelze, Nichtsnutze (es reicht ein flüchtiger Blick in die Kommentarspalten der Onlinedienste, um dieses Urteil zu gewinnen) und dem tatsächlichen Einsatz, den sie überwiegend leisten. Und zwar im Interesse der Allgemeinheit. Schon der Tagesablauf eines normalen Bundestagsabgeordneten reicht in Sitzungswochen von 7.30 Uhr bis weit nach 22 Uhr. Am Wochenende kommen Besuche von Parteiveranstaltungen, Schützenfesten, Marktständen hinzu. Nun gibt es auch in anderen Berufen harte Arbeitszeiten. Auch Manager in der Industrie oder Chefärzte haben keinen Acht-Stunden-Tag. Aber ihre Arbeit verläuft meist im Stillen, sie sind nicht ständig unter Beobachtung. Sie kennen noch Wochenenden – und werden besser bezahlt als Politiker.

Was also motiviert Menschen, sich diesem oft als gnadenlos beschriebenen Geschäft auszusetzen? Klaus Wowereit, der nach dem Rücktritt Platzecks recht freimütig über den immerwährenden Druck, die riesige Belastung, den Raubbau an der eigenen Gesundheit durch das Amt gesprochen hat, verwies ähnlich wie Merkel auf die Erfüllung, die der Politikerberuf auch bereithält: „Man kann viel bewegen.“ Wahrscheinlich lässt sich Wowereits lange Zeit fast blindes Engagement für den Flughafen BER genau hier ableiten: In dem Wunsch, etwas zu bewegen, etwas zu hinterlassen.

Hektische Selbstgenügsamkeit im politischen Betrieb

Deshalb musste der Flughafen Chefsache sein, zu allem anderen noch dazu. Der Journalist Jürgen Leinemann hat in seinem Buch „Höhenrausch“ ein weiteres Phänomen beschrieben. Er verweist auf die hektische Selbstgenügsamkeit des politischen Betriebs, eine von den Medien geförderte Ersatzwirklichkeit, in der Politiker ihr Ego aufblähen und ihre faktische Machtlosigkeit verdrängen. Dazu gehören Rituale, wie die als nächtliche Krisensitzungen inszenierten Treffen im Kanzleramt, mit denen die schwarz-gelben Koalitionäre die Medienwelt oft unterhalten haben.

Mag sein, dass zur Öffentlichkeit der Politik in der Mediengesellschaft immer auch die Show gehört. Mag sein, dass die Hierarchisierung der Politik die menschliche Tendenz fördert, sich für unersetzlich zu halten. Und doch funktioniert unsere Demokratie nicht ohne diese Mitspieler, und doch steckt hinter mancher Inszenierung ein ernsthaftes Anliegen. Und ganz offensichtlich haben viele Politiker einfach Spaß an dieser, an ihrer extremen Art zu leben.