Arbeitgeberverbände in mehreren Branchen für Mindestlöhne
Berlin/dpa. - Nach dem Post-Mindestlohn steigen auch in anderen Branchen die Chancen auf geregelte Einkommens-Untergrenzen. Wie die Gewerkschaft ver.di am Donnerstag mitteilte, gibt es derzeit bereits Gespräche der Tarifparteien in der Entsorgungswirtschaft.
Auch im Einzelhandel werde sondiert. In der Zeitarbeitsbranche gebe es bereits einen Tarifvertrag mit einer Mindestlohnregelung, der allerdings noch nicht in Kraft sei. Für eine Aufnahme ins Arbeitnehmer-Entsendegesetz und eine Allgemeinverbindlichkeits- Erklärung des Mindestlohns sei aber noch Zeit bis zum 31. März.
Bundespräsident Horst Köhler unterzeichnete inzwischen die umstrittene Aufnahme der Briefzusteller ins Entsendegesetz. Damit gilt für diese Berufsgruppe mit Beginn der Liberalisierung der Postmärkte zum 1. Januar ein Mindestlohn von 9,00 Euro im Osten und 9,80 Euro im Westen. Diese Entwicklung dürfte den Streit in der großen Koalition über eine Ausweitung des Arbeitnehmer- Entsendegesetzes auf weitere Branchen verschärfen. Die Union steht einer Ausweitung ablehnend gegenüber. Die SPD macht den Mindestlohn zum Thema in den Landtagswahlkämpfen in Hessen und Niedersachsen.
Hessens Ministerpräsident Roland Koch (CDU) ermahnte seine Partei angesichts der SPD-Unterschriftensammlungen für einen flächendeckenden Mindestlohn zur Gelassenheit. «Wir sehen, dass das ein Thema ist, das die Menschen ernst nehmen, deshalb werden wir dazu argumentieren, aber wir sehen jetzt überhaupt keinen Anlass zur Aufgeregtheit, nur weil die Sozialdemokraten im Wahlkampf eine Aktion starten», sagte er im Deutschlandfunk.
Ein Ausweitung von Mindestlöhnen auf andere Branchen schloss Saarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) in einem Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur dpa nicht aus. Er warnte aber vor Streit. «Ich empfehle sehr, die Frage des Mindestlohns nicht zu einer ideologischen Grundsatzfrage zu machen.» Es sei klar, dass Mindestlöhne nicht zum Wettbewerbshemmnis werden dürften, sagte er. Zudem müsse die Lohnfindung durch die Tarifparteien Vorrang haben.
SPD-Fraktionschef Peter Struck bekräftigte, das Thema Mindestlohn bleibe auch 2008 auf der Agenda. Ein gesetzlicher Mindestlohn für ganz Deutschland, für alle Branchen, sei im zu Ende gehenden Jahr leider nicht gelungen, sagte Struck dem Videodienst der Deutschen Presse-Agentur dpa. «Aber wir werden in diesem Kampf auch nicht nachlassen.»
Der SPD-Arbeitsmarktpolitiker Klaus Brandner sagte im WDR, auf Regierungsebene gebe es eine Vereinbarung, «dass wir in zwei Wegen zu Mindestlöhnen kommen wollen»: erstens im Rahmen des Entsendegesetzes, wenn 50 Prozent Tarifbindung erreicht seien; zweitens könne in den Branchen, wo eine zu geringe Tarifbindung oder gar keine Tarife vorlägen, nur eine Lohnschutzregelung entstehen, «wenn man im Rahmen eines Mindestarbeitsentgeltgesetzes Mindestlinien einzieht».
Die «Frankfurter Rundschau» (Donnerstag) zitierte Arbeitgeberverbände aus der Zeitarbeitsbranche, der Entsorgungswirtschaft und der Wach- und Sicherheitsbranche, die Regelungen für ein Mindesteinkommen fordern. Der Präsident des Bundesverbandes Zeitarbeit (BZA), Volker Enkerts, sagte der Zeitung: «Die Zeitarbeit braucht jetzt rasch einen Branchenmindestlohn.» Der BZA und sein Schwesterverband IGZ habe mit dem Deutschen Gewerkschaftsbund für die Zeitarbeit 7,15 Euro ausgehandelt.
Die Chancen in der Sicherheits- und Wachbranche seien allerdings äußerst gering, über eine Aufnahme ins Entsendegesetz zu einem Mindestlohn zu kommen. Die Gewerkschaft ver.di argumentiert, im Grunde wollten die Arbeitgeber dieser Branche lediglich die bisher üblichen niedrigen Stundenlöhne von 4 bis 5 Euro festschreiben. Die Gewerkschaften verlangen einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro.
Der Vorsitzende des Sachverständigenrates, Bert Rürup, riet der Union in der «Saarbrücker Zeitung» (Donnerstag), ihre Blockadehaltung beim Mindestlohn aufzugeben. Sonst bekämen CDU und CSU über das Entsendegesetz und das Mindestarbeitsentgeltgesetz weitere hohe branchenspezifische Lösungswege wie beim Post-Mindestlohn. Er bekräftigte seine Vorstellungen von einem flächendeckenden Mindestlohn von etwa 4,50 Euro pro Stunde. CDU/CSU-Fraktionsvize Michael Meister wies in der «Financial Times Deutschland» (Freitag) den Vorstoß Rürups zurück.