Angeschlagene Ministerin Angeschlagene Ministerin: Anne-Marie Keding gerät im Fall Oury Jalloh unter Druck

Magdeburg - Und wieder sitzt die Justizministerin allein da. Blättert auf der Regierungsbank in einer Akte, hat rote Flecken auf Hals und Wangen. Die Sitzplätze neben ihr: leer. Kein Ministerkollege ist am Freitagmorgen da, mit dem sie ein aufmunterndes Wort wechseln könnte - das dann ein kleines bisschen Anspannung lösen könnte.
Anne-Marie Keding (CDU) steht unter Hochspannung. Gerade wurde sie im Landtag schwer attackiert. Es geht um den Fall Oury Jalloh - der Feuertod des Asylbewerbers 2005 in einer Dessauer Polizeizelle ist ein dunkles Kapitel in Sachsen-Anhalts Justizgeschichte. Nach 13 Jahren ist immer noch nicht abschließend geklärt, wie Jalloh starb - und ob er ermordet wurde.
Quade wirft Keding „dröhnendes Schweigen“ vor
Jetzt geht es um Justizakten: Die Koalition aus CDU, SPD und Grünen will Einblick in die Arbeit der Ermittler, Gutachter, Staatsanwaltschaften bekommen. Der Grund: Seit Tagen ist bekannt, dass einige Gutachter die Mordthese im Fall Jalloh für wahrscheinlicher halten als die These, dass sich Jalloh selbst entzündet hat. Auch der Dessauer Oberstaatsanwalt Folker Bittmann hatte seine Ansicht geändert und nun die Mordthese vertreten - das belegen Akten, die das ARD-Magazin „Monitor“ auswertete. Doch die Staatsanwaltschaft Halle stellte die Ermittlungen im Oktober ein. Nach Sichtung aller Unterlagen sah sie keinen Anfangsverdacht.
Aber erst jetzt kam heraus, dass der Ermittler Bittmann Mord für wahrscheinlich hält: Die Linken-Abgeordnete Henriette Quade fühlt sich darüber getäuscht. „Das ist nicht das, was wir im Rechtsausschuss gehört haben“, sagt sie im Landtag. Sie sieht eine Wende in dem Fall, deswegen will sie die Akten sehen. Zu Keding sagt sie: Ein Skandal sei das „dröhnende Schweigen der Ministerin“. Sie trage nichts zur Aufklärung bei.
Quade: „Schlichtweg beschämend“, dass Keding kein Aufklärungsinteresse zeige
Es gibt eine Vorgeschichte zu dem Streit im Landtag. Schon vor Wochen hatte die Linke im Rechtsausschuss Aktenvorlage gefordert, doch die Koalition aus CDU, SPD und Grünen winkte ab. Jetzt, nach den Presseberichten, schwenkt das Bündnis um. Grünen-Chefin Cornelia Lüddemann sagt nun, es „muss uns betroffen machen“, dass der Fall immer noch ungeklärt sei. Auch CDU und SPD stimmen für Aktenvorlage durch Kedings Ministerium.
Doch Keding sendet andere Signale: Im Landtag führt sie trocken aus, das Plenum könne formell gar keine Akteneinsicht verlangen. Das dürfe nur der Rechtsausschuss. „Ich bin eben nicht berechtigt, dieses nach einem Beschluss des Landtags zu machen“, sagte sie. Und schon ist sie fertig.
Das stößt vielen sauer auf. Quade sagt, es sei „schlichtweg beschämend“, dass die Ministerin kein Aufklärungsinteresse zeige. Sie ziehe sich auf Formalitäten zurück, „zum Teil an den Haaren herbeigezogen“. Auch aus den eigenen Reihen muss Keding einstecken. Lüddemann kritisiert, Keding habe „mehr über Verfahrensfragen als über Inhalte geredet“. Selbst CDU-intern schütteln einige die Köpfe - auch wenn Fraktionschef Siegfried Borgwardt diplomatisch sagt: „Ich kann nicht erkennen, dass die Ministerin die Aufklärung verhindert, sie hat sicherlich die Rechtsauffassung ihrer Abteilung vorgetragen.“
Jalloh-Akten sollen bald in der Geheimschutzstelle des Landtags liegen
Es sind schwere Tage für Keding: Erst am Donnerstag hatte Die Linke indirekt ihren Rücktritt gefordert. Die Ministerin hatte eingeräumt, dass ihr Staatssekretär eine Richterin zu einem schnelleren Verfahren gedrängt hat. Die Linke sieht einen Verstoß gegen die richterliche Unabhängigkeit.
Trotz Kedings Auskunft sollen die Jalloh-Akten bald in der Geheimschutzstelle des Landtags liegen. CDU-Mann Jens Kolze verspricht: „Wenn die CDU mit ihren Koalitionspartnern etwas beschließt, dann machen wir das so!“ Dabei schimmert bei dem Rechtspolitiker Skepsis durch wegen der neuen Jalloh-Debatte. Für die CDU sei der Fall nach fast 13 Jahren „politisch abgeschlossen“. Kolze warnt angesichts der offenbar durchgestochenen Ermittlungsakten vor weiterer Indiskretion und mahnt die Abgeordneten zur Geheimhaltung: „Eine Hetzjagd auf Polizisten und andere Beteiligte des Verfahrens darf es nicht geben.“
Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann benennt mögliche Verdächtige
Um die Kriminalisierung von Polizei und Justiz sorgt sich auch AfD-Mann Mario Lehmann - er ist selbst Polizist. „Diese Berichterstattung ist verantwortungslos“, sagt er. Vielleicht auch deswegen, weil seit Tagen bekannt ist, dass der Dessauer Oberstaatsanwalt Bittmann zuletzt in einem Vermerk konkrete Polizisten als mögliche Verdächtige benannte. Auch im Fall Oury Jalloh müsse für jeden Polizisten gelten: in dubio pro reo, im Zweifel für den Angeklagten. Die AfD lehnt als einzige Fraktion Akteneinsicht ab, Fraktionschef Poggenburg spricht von „Leichenfledderei zu Propagandazwecken“.
Anne-Marie Keding schweigt eisern nach ihrer Rede. Fernsehinterviews? Da winkt sie ab. (mz)