Angela Merkels Jubiläum als Parteivorsitzende Angela Merkels Jubiläum als Parteivorsitzende: In 15 Jahren von "Mädchen" zu "Mutti"

Berlin - Zwölf Minuten warteten die Delegierten, dann brach Jubel los. Er galt einer Frau mit Pagenkopf, die vor nicht allzu langem noch als Lehrling gegolten hatte. Es war das Jahr 2000, der 10. April, und die CDU hatte die 45-jährige Angela Merkel zur neuen Parteivorsitzenden gewählt. Zwölf Minuten hatte die Auszählung der Stimmen gedauert – Merkel bekam 95,9 Prozent. Die Delegierten in der Essener Gruga-Halle feierten.
Es schien wie eine Erlösung, eine Befreiung. Nach der verlorenen Bundestagswahl von 1998, nach Monaten der Parteispendenaffäre, in der die CDU Vertrauen und ihren Ehrenvorsitzenden Helmut Kohl verloren hatte, war da ein Neuanfang. Die CDU hatte ihre erste weibliche Vorsitzende, die Konservativen waren damit nach den Grünen die erste im Bundestag vertretene Partei, die eine Frau an ihre Spitze ließ – und eine Ostdeutsche noch dazu, elf Jahre nach dem Fall der Mauer.
Ich gehöre zu dem Typ Mensch, der schon im Sport die gesamte Unterrichtsstunde auf dem Dreimeterbrett gestanden hat und erst in der 45. Minute gesprungen ist.
(am 31. Dezember 2000 in der „Welt am Sonntag“)
Ich kann versprechen, das Brandenburger Tor steht noch eine Weile.
(am 7. Juni 2011 zu US-Präsident Barack Obama – Bundeskanzlerin Merkel hatte ihm im Jahr 2008 verwehrt, als Präsidentschaftskandidat vor dem Brandenburger Tor zu sprechen)
Wenn ich da immer gleich eingschnappt wäre, könnte ich keine drei Tage Bundeskanzlerin sein.
(am 16. November 2012 zum russischen Präsidenten Wladimir Putin, nachdem die Kanzlerin seine Menschenrechtspolitik kritisiert hatte)
Diese Bundesregierung ist die erfolgreichste seit der Wiedervereinigung.
(am 21. November 2012 im Bundestag zur Bilanz der Koalition aus CDU/CSU und FDP)
Auch mir hat eine Satiresendung schon einmal richtig aus der Seele gesprochen, als es dort hieß: Gott hat die FDP nur erschaffen, um uns zu prüfen.
(am 4. Dezember 2012 auf einem CDU-Parteitag zur Zusammenarbeit in der schwarz-gelben Koalition)
Nein. Ich habe gewisse kamelartige Fähigkeiten. Ich habe eine gewisse Speicherfähigkeit. Aber dann muss ich mal wieder auftanken.
(am 2. Mai 2013 im Gespräch mit der Frauenzeitschrift „Brigitte“ – auf die Frage, ob sie tatsächlich nur vier Stunden Schlaf benötige)
Der Interimsvorsitzende Wolfgang Schäuble – auch er war verwickelt in die Spendenaffäre – bekam als Abschiedsgeschenk einen Laptop und eine eigene Website. Es war das Jahr 2000.
15 Jahre sind seither vergangen, vor einigen Monaten ist Merkel – diesmal auf einem Parteitag in Köln – erneut zur Parteivorsitzenden gewählt worden, zum achten Mal mittlerweile. Besser abgeschnitten hat sie zuvor nur einmal. Zum einen ist die CDU kein Revolutionsverein, zum anderen fährt die Partei sehr gut mit der Umfragekönigin: Bei der letzten Bundestagswahl ist sie knapp an der absoluten Mehrheit vorbeigeschrammt.
2000 war sie die Erlösung, sie war erst seit zehn Jahren in der Politik, sie hatte als CDU-Generalsekretärin getraut, gegen die oberste Autoritätsperson der Partei vorzugehen, den in der Spendenaffäre nicht aufklärungsbereiten Kohl. Die Partei müsse „laufen lernen“, schrieb sie damals in einem Zeitungsartikel. Wenige Monate später stand sie ganz oben.
Immer weiter nach oben
„In der Krise steckt eine Chance“, rief sie den Delegierten des Parteitags zu. Nicht wenige derer, die da auf dem Podium und im Saal klatschten, sahen die Chance so: Merkel räumt ein wenig auf und tritt dann brav zur Seite, um anderen den Weg nach oben zu ermöglichen. Sie sahen in ihr nur eine Übergangslösung. Ohne seit Jugendzeiten geschmiedeten Allianzen in der Politik, so hieß es, könne es kaum weiter nach oben gehen.
Merkel blieb. Sie machte sich breit, indem sie den Fraktionsvorsitz übernahm. Sie steckte zurück und überließ Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur 2002. Ihre parteiinternen Konkurrenten – Friedrich Merz, Christian Wulff, Roland Koch – verloren Wahlen oder die Geduld. Merkel tastete sich vor. Sie holte sich Unterstützer bei neuen Bundestagsabgeordneten. Sie öffnete die Partei in der Gesellschaftspolitik, versuchte es auch mit Neoliberalismus und hatte Glück, dass die SPD mit Kanzler Gerhard Schröder stritt und ihr so zur Kanzlerschaft verhalf.
Längst hat sie seither den Spitznamen gewechselt. Aus dem „Mädchen“ ist „Mutti“ geworden. Ihr Politikstil ist das präsidiale Umarmen und das Abwarten. Geduldig finden das die einen, zögerlich die anderen. Pragmatisch übernimmt sie die Themen anderer Parteien. Mit Merkel als Parteichefin ist die CDU nun für Mindestlohn und Frauenquote und gegen Atomkraftwerke. Nicht mehr konservativ genug, jammern Kritiker. Aber ohne Merkel scheint es auch nicht zu gehen. Im nächsten Jahr wird sie Konrad Adenauer in seiner Amtszeit als Parteichef eingeholt haben. Um die 25 Jahre Parteivorsitz von Helmut Kohl zu erreichen müsste sie noch lang bleiben. Schon jetzt ist sie die Kanzlerin mit der drittlängsten Amtszeit, nach Kohl und Adenauer.
Als sie noch nicht Parteichefin war, hat Merkel gesagt, sie wolle „kein halbtotes Wrack“ sein, wenn sie aus der Politik aussteige. In der Union setzt man darauf, dass sie noch eine Weile weitermacht. Das liegt auch daran, dass niemand wirklich weiß, wer nach ihr weitermachen soll an der Spitze der Partei. Ursula von der Leyen, Thomas de Maizière sind nur einige Jahre jünger. Aus der nächsten Generation drängt sich keiner auf: Julia Klöckner muss erst eine Landtagswahl gewinnen, David McAllister hat seine in Niedersachsen verloren. Aber eine tiefgreifende Krise der CDU wie die Ende der 90er Jahre, in der sich plötzlich neue Perspektiven ergeben müssen, ist ja auch gar nicht in Sicht.
Es wird am Ende so sein, dass die CDU irgendwann einmal wieder laufen lernen muss, dieses Mal ohne Merkel.

