Sommerinterviews Angela Merkel und Sigmar Gabriel: So lief das TV-Fernduell

Berlin - Die Stimmung: sommerlich. Angela Merkel trägt eine cremefarbene Baumwollhose und Wildlederschuhe zum dunklen Jackett. Sigmar Gabriel lässt ein offenes Freizeithemd unter dem Anzug hervorschauen. Schließlich ist es richtig heiß an diesem Sonntag, und die öffentlich-rechtlichen Fernsehsender haben zum Finale ihrer Sommerinterviews geladen: CDU-Chefin Angela Merkel um 18.30 Uhr in der ARD. SPD-Chef Sigmar Gabriel um 19.10 Uhr im ZDF. Die beiden Noch-Verbündeten in der großen Koalition und potentiellen Kontrahenten im Bundestagswahlkampf nur wenige Minuten und einen Knopfdruck auf der Fernbedienung voneinander entfernt. Ein Fern-Duell mit nicht immer ganz klarem Frontverlauf.
Der Schauplatz
Merkel stellt sich den Fragen auf der Terrasse des Berliner Elisabeth-Lüders-Haus, nur einen Steinwurf vom Kanzleramt entfernt. Sie gibt sich demonstrativ zuversichtlich, aber auch selbstzufrieden. „Sie kennen mich“, lautet ihr unausgesprochenes Motto. In den Antworten spult sie routiniert ihre Regierungsbilanz herunter. Kritische Nachfragen lässt sie abperlen. Die Amtsinhaberin wirkt ganz mit sich im Reinen – nur am scharf konturierten Horizont hinterm Reichstag kündigt sich in der Ferne ein Gewitter an.
Gabriel hingegen meldet sich aus der Provinz. Nur 20 Minuten sind es mit der Regionalbahn von seiner Heimatstadt Goslar ins idyllische Baddeckenstedt, wo er die Fernsehleute unter einem Kastanienbaum empfängt. Der SPD-Chef wirkt aufgeräumt, aber kampfeslustig. Schon im Vorspann liefert er sich mit ZDF-Moderator Thomas Walde scherzhaft eine verbale Rempelei. Am Ende sagt er, sein einziger Fehler in der vermeintlichen „Stinkefinger-Affäre“ mit den beleidigend-pöbelnden Neo-Nazis sei gewesen „dass ich nicht beide Hände benutzt habe“. Hier präsentiert sich nicht der Vizekanzler. Nein, der Herausforderer sammelt seine Truppen für den Sturm auf Berlin.
So bewerten Merkel und Gabriel die Flüchtlingskrise
In beiden Interviews das zentrale Thema. Vor einem Jahr hatte Merkel ihr vielzitiertes „Wir schaffen das“ gesagt. Seither kam rund eine Million Schutzsuchende ins Land. „Wir haben vieles erreicht. Manches bleibt noch zu tun“, sagt Merkel. Nicht nur dieser Satz kommt einem aus dem Munde der Regierungschefin irgendwie bekannt vor. Die Kanzlerin zählt auf, was alles erreicht wurde, und lächelt zufrieden. Ganz anders Gabriel. „Wir müssen wieder für mehr Sicherheit und Verlässlichkeit in Deutschland sorgen“, fordert er. Man fragt sich kurz, wo die SPD in den vergangenen drei Jahren gewesen ist.
Dann holt der SPD-Chef zu einer veritablen Breitseite gegen die Flüchtlingspolitik der Kanzlerin aus. Nichts von dem, was er sagt, ist ganz neu. Alles hat er früher schon einmal hier oder da gesagt. Aber in der Zusammenballung wird daraus eine veritable Attacke auf Merkel. „Die Union hat die Herausforderungen unterschätzt“, moniert der SPD-Chef. Natürlich könne nicht Deutschland nicht über Jahre soviele Flüchtlinge aufnehmen. Und: Ein Jahr lang hätten CDU/CSU die wichtigsten Maßnahmen zur Integration blockiert. Noch einmal greift Gabriel den Streit in der Union auf. „Das Asylrecht kennt keine Grenze“, hatte CDU-Chefin Merkel argumentiert. Die CSU hatte eine Obergrenze für die Aufnahme von Flüchtlingen gefordert. „In Wahrheit sind beide Sätze richtig“, sagt Gabriel jetzt – der eine beschreibe die Rechtslage, der andere die praktischen Integrationsmöglichkeiten. Man reibt sich kurz die Augen: Gabriel der einst mit einem "Refugees-welcome“-Button im Bundestag saß, versucht sich nun zwischen Merkel und Seehofer zu positionieren.
Die Kanzlerin lässt den Angriff in eine Wattewand laufen. „Wir haben alles gemeinsam beschlossen. Das ist eine großartige Aufgabe, die wir bewältigt haben“, verkündet sie präsidial.
So äußern sich Merkel und Gabriel zur Außenpolitik
Eher am Rande und kursorisch spielt in den Sommerinterviews die Außenpolitik eine Rolle. Merkel sagt: „Wir müssen vor allem das schreckliche Blutvergießen in Syrien unterbinden.“ Doch den braven ARD-Moderatoren Tina Hassel und Thomas Baumann fällt keine Nachfrage ein. Sie versuchen stattdessen, Differenzen zwischen der Position von SPD-Außenminister Frank-Walter Steinmeier und der Kanzlerin etwa in der Rußland-Politik herauszuarbeiten. Aber Merkel begrüßt und unterstützt hinlänglich unbestimmt alle Aktivitäten ihres Chef-Diplomaten. Gabriel wird derweil im ZDF zum europäisch-kanadischen Handelsabkommen Ceta befragt, was aber eher ein innenpolitisches Thema ist, da große Teile der SPD den Vertrag ablehnen. Der Wirtschaftsminister erklärt, das gute Ceta-Abkommen werde leider oft mit dem schlechten TTIP-Abkommen verwechselt und prognostiziert am Ende eine Zustimmung des SPD-Parteikonvents: „Ich kann mir nicht vorstellen, dass die Sozialdemokratie Europa anhält.“ Soviel Eindeutigkeit gibt es bei Merkel nirgends.
So wichtig wird die Steuerpolitik
Steuern rauf, Steuern runter – was am Ende kommt, ist auch nach diesen Sommerinterviews nicht klar. Sicher aber ist: Die Steuerpolitik wird ein zentrales innenpolitisches Symbol-Streitthema im Wahlkampf. Wohl auch deshalb verhält sich Merkel bei der Frage auffällig zurückhaltend. Angesichts eines zweistelligen Milliardenüberschusses des Staatshaushalts im ersten Halbjahr kommen aus ihrer Partei im Stundentakt lautstarke Rufe nach einer Senkung der Steuern. Erst einmal gehe es um einen ausgeglichen Haushalt, bremst Merkel die Euphorie. Aber: „Wir fassen das ins Auge.“ Für Merkels Verhältnisse ist das eine programmatische Aussage. Und dann noch dies: „Ich bin froh, dass momentan alle Parteien sich damit befassen, wie man in der nächsten Legislaturperiode Steuererleichterungen ins Auge fassen kann.“ Merke: In der nächsten Legislaturperiode.
Einen kleinen Seitenhieb mag sich Merkel aber nicht verkneifen: Wenn man sich so die Wahlprogramme anschaue, „dann sollte das bei einigen ganz anders laufen“. Tatsächlich war die SPD mit massiven Steuererhöhungsforderungen angetreten. „Wir machen keine Steuersenkungen für alle mit“, erklärt Gabriel auch am Sonntag demonstrativ. Schließlich brauche man Geld für Bildung, Infrastruktur, den Ausbau der digitalen Netze und die solidarische Lebensleistungsrente. Also Steuern rauf? Damit mag Gabriel freilich nicht werben. Im Gegenteil: Die Bezieher kleiner und mittlerer Einkommen müssten entlastet werden, fordert er: „Wir beginnen mit dem Spitzensteuersatz zu früh, und dann ist er für die wirklich Gutverdienenden zu niedrig.“
So äußern sich Merkel und Gabriel über ihre Kandidatur
ZDF-Moderator Thomas Walde hat nicht ernsthaft erwartet, von Gabriel eine klare Aussage zum SPD-Kanzlerkandidaten zu erwarten, weshalb er sie gleich zu Beginn halb-ironisch abhandelt. Doch die Linie der Sozialdemokraten ist: Anfang 2017 soll verkündet werden, wer als Spitzenmann oder –frau ins Rennen ums Kanzleramt geht. Gabriel gilt derzeit als Favorit, auch da die Aussicht auf eine mögliche Niederlage der Partei mögliche Konkurrenten nicht gerade befeuert. Ein langes Herumeiern bei der Frage kann sich Gabriel dieses Mal ersparen und auf Merkel verweisen, die sich auch erst im nächsten Jahr festlegen wolle: „Warum sollen wir es vorher sagen?“ Gute Frage.
Aber wann genau will Merkel ihrem Volk denn eigentlich verkünden, ob sie noch einmal anzutreten gedenkt? Die Antwort der Kanzlerin darf als Höhepunkt aller Sommerinterviews gelten und hat beste Aussichten für einen vorderen Platz im Guinness-Buch in der Disziplin „Politikergeschwurbel“. Also spricht Merkel: „Über die Frage, wie ich mich bezüglich einer weiteren Kanzlerkandidatur entscheide, werde ich zum gegebenen Zeitpunkt dann auch Bericht erstatten oder die Aussage machen.“