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Angela Merkel Angela Merkel: "Ich würde alles noch einmal so machen"

Von Daniela Vates 18.07.2016, 13:08
Angela Merkel kommt selten zur Ruhe.
Angela Merkel kommt selten zur Ruhe. REUTERS / POOL

Bischek/Ulan Bator/Berlin - In einer Woche, in der sich Komik, Tragik und Dramatik in der Politik mischen wie selten, macht die Bundeskanzlerin etwas, was vor ihr noch kein Kanzler getan hat. In der Woche, in der ein britischer Premier zurücktritt und dabei singt, in der italienische Banken wanken und ein Brexit-Fan britischer Außenminister wird, fährt Angela Merkel nach Kirgistan. Wohin? Frankreich erstarrt nach einem Anschlag, in der Türkei putscht das Militär – die Kanzlerin sitzt in einer mongolischen Jurte.

Ein gutes Jahr ist es noch bis zur nächsten Bundestagswahl. Das elfte Regierungsjahr der Kanzlerin endet theaterreif. Sogar Kamele kommen zum Einsatz. Allerdings erst nach einer weniger märchenhaften  Angelegenheit: einer Milchproduktanalyse. Die findet in Kirgistan statt, in der dortigen Universität.

Kirgistan: ein kleines bergiges Land, sechs Millionen Einwohner und ziemlich arm, Nummer 146 auf der Liste der deutschen Handelspartner. Hochzulaufende Hüte als Nationaltracht und eine Art Tennisball mit Sonnenstrahlen – tatsächlich ein stilisiertes Jurtendach – auf der Fahne.

„Warum nach Kirgistan?“ fragt jemand aus der Regierung, mit einem Augenzwinkern, weil er natürlich nicht die Reisepläne der Kanzlerin anzweifeln will. Genauer gesagt sagt er „Kirgisistan“, denn damit fängt es schon an: Zumindest in Deutschland ist etwas unklar, wie das Land denn nun heißt, in das sich Angela Merkel aufmacht. Merkel und ihre Leute jedenfalls gönnen dem Land ein doppeltes „is“.

Singende Soldaten

Im Flugzeug aus Berlin stellt die Kanzlerin ihre Armbanduhr vor, um vier Stunden. Gegen Mitternacht begrüßt sie ein äußerst vergnügt wirkender Staatspräsident am Flughafen. Die kirgisischen Soldaten am roten Teppich stehen nicht nur stramm, sie singen auch, die kirgisische Nationalhymne. „Sie haben ein kleines, aber wunderschönes Land“, schwärmt Merkel. Am Straßenrand stehen Plakate mit ihrem Konterfei als Willkommensgruß.

An der Oper in der Hauptstadt Bischkek hat demnächst „Fürst Igor“ von Alexander Borodin Premiere. Merkel, eine Freundin des Musiktheaters, sieht sich das Milchproduktanalyse-Labor an und sagt, es sei wichtig, das kleine Kirgistan zu unterstützen, weil es sich es für einen Weg entschieden hat, der in der Region ein Sonderweg ist: Seit 2010 wird hier die Demokratie erprobt. Aus Kanzlerinnensicht ist das besser als der EU-Ausstieg, den Großbritannien gerade probt.

Kirgistan auf den DDR-Lehrplänen

In der Schule, vor 40 oder 50 Jahren, hat Merkel wohl einiges über die Region gelernt, die damals noch Teil der Sowjetunion war und deswegen auf den DDR-Lehrplänen stand. Der Fluss Syr Darja, der hier entspringt, hat sich ihr eingeprägt. In den Schulbüchern waren damals Baumwollerntemaschinen abgebildet und in den Textaufgaben ging es darum, auszurechnen, wann die sowjetische Wirtschaft die US-Konkurrenz überholt haben würde.

Weit weg ist das. Weit weg ist auch Europa in diesem Moment, eigentlich. Aber dann erreicht die Nachricht vom neuen Außenminister Boris Johnson, dem rustikalen Brexit-Betreiber, sie in der warmen kirgisischen Nacht. Sie telefoniert ein paar Minuten mit Theresa May, ihrer neuen Amtskollegin. Die beiden sprechen nicht über Johnson und seine Gedichte, es geht nur um Gratulation zum neuen Job.

Die EU, die USA, Syrien, die Welt

Vielleicht überlegt Merkel in diesen Minuten, wie es wäre, jetzt die Zeit vordrehen zu können, um mehr als vier Stunden. Um ein Jahr zum Beispiel. Hat sich die EU weiter entzweit oder doch zusammengehalten? Hat sich der Konflikt mit Russland beruhigt? Was macht die Flüchtlingsfrage? Syrien? Entzweit der Terror die Weltgemeinschaft oder schafft er neue Einigkeit?

Und, vergleichsweise profan: Kleben dann, im aufziehenden Bundestagswahlkampf, Plakate mit ihrem Gesicht nicht in Bischkek, sondern zwischen Baden-Baden und Brandenburg, weil sie dann noch einmal antritt als Spitzenkandidatin der CDU, zum vierten Mal?

Das letztere kann Merkel vermutlich ganz gut beantworten, für sich auf der abendlichen Bischkeker Hotelterrasse. Aber die EU, die USA, Syrien, die Welt?

„Warten wir mal ab“, sagt Merkel meist auf solche Fragen, und vielleicht denkt sie es auch. Am Straßenrand und im Gebüsch sitzen bewegungslos handtellergroße Heuschrecken. Ein paar Stunden später ist die Ruhe dahin – die Nachricht vom rasenden Lastwagen auf der Strandpromenade von Nizza, von den vielen Toten erreicht auch Asien. Es sind Momente, in denen man die Uhr gerne zurückdrehen möchte, um – im Wissen um das, was kommen kann – einzugreifen. Aufzuhalten. Zu verhindern. 

Nicht mehr die Eiserne Lady

Was täte Merkel, wenn es noch einmal Sommer 2015 wäre? Die Flüchtlingszahlen würden schon steigen, hätten aber noch nicht ihren Höhepunkt erreicht. Es begann ein besonderes Jahr in der elfjährigen Regierungszeit der Physikerin aus Templin. Es war das Jahr, in dem die Kanzlerin emotional wurde, in dem sie plötzlich nicht mehr nur als Eiserne Lady erschien, die Sparen und Reformen predigte, sondern als die Frau mit dem großen Herzen, nach dem Geschmack mancher ein allzu großes Herz. Es war das Jahr der Flüchtlingskanzlerin und man kann sagen, dass es vor genau einem Jahr begonnen hat: mit einer Reise nach Rostock und einem weinenden 14-jährigen Mädchen.

Das palästinensische Flüchtlingskind Reem schilderte auf einem von der Regierung organisierten Diskussionsforum seine Unsicherheit angesichts nur befristeter Aufenthaltsgenehmigungen, seine Angst vor Abschiebung. Merkel zeigte Verständnis, blieb aber in der Sache hart. „Wir werden nicht alle aufnehmen können“, sagte sie. Als Reem in Tränen ausbrach, streichelte die Kanzlerin ihre Schulter. Härte und Unbeholfenheit wurde ihr damals vorgeworfen. Einen guten Monat später – der Flüchtlingsstrom hatte dramatisch zugenommen, die Ankommenden wurden an Bahnhöfen jubelnd und an Unterkünften hassspeiend begrüßt -– verkündete Merkel, Deutschland müsse ein freundliches Gesicht zeigen.

CSU auf Anti-Kanzlerinnen-Kurs

Nach einer kurzen erstaunten Pause brach der Ärger über Merkel herein, nun galt sie als zu weich und unbedacht. Ihre Umfragewerte sanken dramatisch, die EU-Partner wendeten sich ab, die CSU ging auf Anti-Kanzlerinnen-Kurs – über Monate hinweg ging das so. Merkel sagt: „Ich würde alles noch einmal so machen.“ Aber selbst in der Regierung räumt man ein, dass nicht alles optimal gelaufen sei, zumindest in der Kommunikation. Man habe den Eindruck vermittelt, die Kontrolle verloren zu haben. Mittlerweile scheint sich die Lage ein wenig beruhigt zu haben. Die Flüchtlinge sind weniger geworden, die CSU ist nun schon in der dritten Woche einigermaßen ruhig, die AfD zerstreitet sich. Merkels Umfragewerte steigen wieder.

„Es war in der Tat ein sehr intensives Jahr“, so hat es Merkel vor ein paar Tagen im ZDF beschrieben. Es war fast britisch anmutendes Understatement.

Krisen lösen sich ab

Schließlich lösen sich die Krisen ja geradezu ab: Erst wackelte der Euro und die Banken, dann Griechenland, Flüchtlinge und Brexit bringen Europa ins Trudeln.

Es ging auch noch jede Menge anderes schief: Die CDU verliert sicher geglaubte Landtagswahlen, der türkische Präsident lässt sich von einem deutschen Komiker beleidigen, Österreichs Nationalisten klagen erfolgreich gegen eine Präsidentenwahl, die sie knapp verloren haben. Und dann stehen noch schwierige innenpolitische Entscheidungen aus: Die Bund-Länder-Finanzen müssen neu geregelt werden, ein neuer Bundespräsident gefunden werden - zwei große Konsensnummern ausgerechnet wo es wieder auf Wahlen zugeht. Und auch den Streitklassiker Rentenreform will die Koalition eigentlich noch abräumen.

Es ist kein Wunder, dass Merkel manchmal erschöpft wirkt. In dieser Woche würde sie gerne ihren Urlaub beginnen, aber wer weiß, was noch passiert.

Man könnte es  verstehen, wenn sie sich mehr Zeit für die kirgisischen Berge wünschen würde. Gute 4000 Meter hoch türmen sich die sich eine halbe Fahrstunde von Bischkek entfernt, der kirgisischen Hauptstadt. Für die Kanzlerin, den freundlich blickenden Präsidenten Almazbek Atambaev, dessen Ehefrau, Tochter und Sohn gibt es an einem regnerischen Tag ein halbstündiges Sonnenfenster zum Spaziergang an einem sehr entschlossen zu Tal schießenden Gebirgsfluss.

„Frischere Spieler, frischere Beine“

Azarbaev und Merkel sprechen über Islamisierung und Terrorismus an diesem Tag – die Kirgisen beklagen zunehmenden Einfluss extremer Muslime. Der Präsident versichert Merkel, dass er im kommenden Jahr tatsächlich an die Regeln halten wird und nicht noch einmal als Präsident kandidiert. Die Amtszeit ist auf eine Wahlperiode von sechs Jahren limitiert. US-Präsident Barack Obama, der dieses Jahr nach zwei Amtszeiten aufhören muss, hat neulich von der Begrenzung geschwärmt: Es sei in Sport wie Politik gesund, ab und zu an den Nächsten zu übergeben, an „frischere Spieler, frischere Beine“.

Er war da ausgerechnet zu Besuch in Hannover, Merkel stand neben ihm, die Frau aus dem Land ohne Geschwindigkeitsbegrenzung auf Autobahnen und Zeitbegrenzung für Politiker. Merkel sagt seit mittlerweile Jahren, sie werde „zum gegebenen Zeitpunkt“ bekannt geben, ob sie sich für eine weitere Amtszeit bewirbt. Zu deren Ende wäre sie 16 Jahre im Amt, so lange wie Helmut Kohl. Der Verdruss, der Kohl entgegenschlug, wird sich ihr ähnlich eingeprägt haben wie die Namen zentralasiatischer Flüsse aus der Schulzeit.

In ihrer Partei allerdings finden sie, dass es gar nicht anders gehe als mit Merkel. „Ein Jahr vor der Wahl können wir keinen neuen Kandidaten mehr aufstellen“, argumentieren die etwas weniger Merkel-freundlichen. Schließlich seien damit Grabenkämpfe verbunden, zu riskant also. Andere sagen: „Die Krise ist zu groß, als dass sie nun gehen kann.“ Weil seit Jahren Krise auf Krise folgt, hieße das allerdings, dass der richtige Zeitpunkt für einen Abgang nie kommen würde.

Das tapfere kleine Pony

Merkel stellt ihre Uhr weitere drei Stunden vor, sie ist nun in Ulan Bator, der Hauptstadt der Mongolei. Dort treffen sich europäische und asiatische Staaten zum Asem-Gipfel. „Ein tapferes kleines Pony zwischen zwei Elefanten“, so beschreibt man in der Mongolei die eigene Lage zwischen den Supermächten China und Russland.

Man kann sich überlegen, ob das Bild eigentlich auch auf die Koalition von CDU, CSU und SPD anwendbar wäre – und wer dann das tapfere kleine Pony wäre. Oder ob da zwei Begleitponys einen stoischen Elefanten begleiten.

Eine Gelegenheit für Gespräche ist so ein Gipfel eigentlich, für informelle Kontakte. Am ersten Morgen schlägt die Nachricht vom Anschlag im Nizza ein, am zweitem Morgen laufen im Fernsehen verwackelte Bilder von Panzern und Soldaten in der Türkei. Der Asem-Gipfel, ohnehin nur ein Beratungstreffen, wird aus den Nachrichten verdrängt.

Kindheit in der Jurte

Mag sein, dass die Nachrichten aus Europa auch intern wirken, bei den Gesprächen in Konferenzsälen und  Jurten. Der Streit ums südchinesische Meer verliert auf dem Gipfel etwas an Schärfe, den EU-Mitgliedsländern gelingt es sogar, sich auf eine gemeinsame Position zu diesem Thema zu einigen. Der Gipfel verurteilt die Gewalt in Nizza, die EU den Militärputsch in der Türkei.

Der mongolische Präsident erzählt Merkel bei einem Kulturprogramm in den sanften Hügeln vor der Hauptstadt von seiner Kindheit in der Jurte. Im Hintergrund ziehen Kamele aufeinander zu. Es ist ein friedliches Bild. Im Vordergrund versuchen sich Ringer zu Boden zu werfen. Der Sieger vollführt ein kleines Tänzchen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt eine Erklärung zum Putschversuch in der Türkei ab.
Bundeskanzlerin Angela Merkel gibt eine Erklärung zum Putschversuch in der Türkei ab.
AP
Angela Merkel kommt selten zur Ruhe.
Angela Merkel kommt selten zur Ruhe.
REUTERS POOL