Trotz Erdrutsch in der Union Angela Merkel: Bundeskanzlerin will erneut für Unionsvorsitz kandidieren

Berlin - Seehofer? Maaßen? Kauder? War da was? Angela Merkel will nach dem Burgfrieden zwischen CDU und CSU, ihrer Entschuldigung für das Koalitionsgezerre um Verfassungsschutzchef und ihrem Bedauern über die überraschende Abwahl „ihres“ Fraktionsvorsitzenden nun offenbar alles wieder seinen gewohnten Gang gehen lassen.
Wegen der internen Kritik und ihrer offensichtlich angeschlagenen Autorität bereits beim Parteitag Anfang Dezember die Macht über die CDU abzugeben, plant sie jedenfalls nicht.
„Ich habe gesagt, ich stehe für diese Legislaturperiode zur Verfügung und ich habe meine Meinung bezüglich der Verbindung von Parteivorsitz und Kanzlerschaft nicht geändert“, beantwortete Merkel in ihrer gewohnt gewundenen Art eine entsprechende Frage bei einer Interviewveranstaltung in Augsburg am Donnerstagabend.
„Ich sitze hier ganz quicklebendig“
Merkel hatte immer gesagt, dass Kanzlerschaft und Parteivorsitz zusammengehören – übersetzt muss man also aus der Ansage schließen, dass sie im Advent noch einmal als CDU-Chefin antritt. „Ich sitze hier ganz quicklebendig und gedenke, meine Arbeit weiter zu tun“, verkündete sie in Augsburg.
Tatsächlich war man bislang ja immer von dieser Kandidatur ausgegangen und hatte eher damit gerechnet, dass Merkel danach, in der Mitte der laufenden Legislatur, die Amtsgeschäfte an einen Nachfolger übergibt – oder womöglich eher eine Nachfolgerin wie ihre neue CDU-Generalsekretärin Annegret Kramp-Karrenbauer. Auch Merkel selbst war auf diesem Posten, als sie 1999 nach der Macht griff.
Eine entsprechende Frage nach einer Weichenstellung zur Amts-Halbzeit beantwortete die Kanzlerin nun ausweichend: „Nun ist noch nicht mal die Hälfte der Legislaturperiode erreicht“, sagte sie, den Zeitpunkt zur Verkündung, ob sie erneut als Kanzlerin kandidiere oder eben nicht „haben wir mit Sicherheit noch nicht erreicht“.
War die prophezeite Dynamik zu weit gedacht?
Seit Merkels Kandidat und Statthalter an der Unionsspitze, Volker Kauder, am Dienstag gestürzt und sein bisheriger Vize Ralph Brinkhaus gewählt wurde, rechnen viele mit einer Dynamik, die Merkel nicht mehr stoppen, sondern der sie nur noch zuvorkommen kann.
Doch war das zu weit gedacht? Die Abwahl Kauders ein Versehen der Fraktion, ein Sturm im Wasserglas?
Der neue Unionsfraktionschef jedenfalls hat kein Interesse an weiteren Absatzbewegungen von Merkel. Dem „Focus“ sagte er jetzt, er unterstütze Merkels erneute Kandidatur als Parteichefin. „Ich gehe davon aus, dass sie antritt, und würde das auch befürworten“, so Brinkhaus. Merkel sei erfolgreich in der Außenpolitik, engagiere sich für Zukunftsthemen und wolle, dass Deutschland vorankomme. „Dafür braucht eine Regierungschefin auch den Rückhalt der Partei“, sagte er und bekräftigte, „voll hinter Angela Merkel“ zu stehen. Kein Blatt passe zwischen Merkel und die Fraktion, hatte er nach seinem Überraschungssieg proklamiert.
Unterstützung auch aus der CSU
Auch aus der CSU kommt vorauseilende Unterstützung: Vizevorsitzender Manfred Weber forderte die Koalitionsparteien auf, Merkel zu unterstützen und ihre Autorität nicht zu untergraben. Dem „Spiegel“ sagte der Europaabgeordnete: „Deutschlands Stabilität ist wesentlich für ein starkes Europa. Angela Merkel hat daran großen Anteil und genießt für ihre Arbeit hohe Wertschätzung in der EU.“
Die Koalitionsparteien würden gut daran tun, die Kanzlerin bei den anstehenden, sehr wichtigen Verhandlungen, wie zum Beispiel zur Migration oder zum Brexit, voll zu unterstützen, so Weber. Alles andere schwäche deutsche Interessen.
Debatte um Koalitionsoption mit der AfD neu entfacht
Auch die andere für Merkel unangenehme Debatte bemühten sich verschiedene Unionspolitiker schnell auszutreten: ob CDU/CSU nach den drohenden Wahlverlusten in Bayern, Hessen und nächstes Jahr in Ostdeutschland ein Rechtsruck bis hin zur Anschlussfähigkeit an die AfD bevorstehe. Immerhin gilt Brinkhaus zwar nicht als konservativer als Kauder, dessen Abwahl wird aber auch als Reaktion auf den Asylstreit in der Union gelesen.
Zudem unterlag, ebenfalls am Dienstag, in der sächsischen Landtagsfraktion der Kandidat des Ministerpräsidenten Kretschmer bei der Vorstandswahl. Der neue Fraktionschefs Christian Hartmann hatte nach danach eine Koalition mit der AfD offen gelassen: Dem MDR gegenüber nannte er die AfD zwar als „politischen Hauptgegner“ der CDU, auf die Frage nach einem klaren Nein zu einer Zusammenarbeit sagte er aber: „Das werden Sie von mir jetzt in der Form auch nicht hören – das gebietet schon der Respekt vor den Wählerinnen und Wählern, die in diesem Land am 1. September 2019 entscheiden.“ An diesem Tag wird in Sachsen ein neuer Landtag gewählt.
Darauf reagierte Kretschmer mit einem klaren Ausschluss: „Mit mir als Ministerpräsidenten und Vorsitzenden der Sächsischen Union wird es keine Koalition geben – weder mit der AfD noch mit der Linkspartei.“ Und Generalsekretärin Kramp-Karrenbauer sagte den Zeitungen des Redaktionsnetzwerks Deutschland: „Es wird keine Zusammenarbeit oder Koalition mit der AfD geben.“ Merkel selbst sagte in Augsburg: „Das kann ich kategorisch ausschließen.“ Sie sei sich sicher, dass dies die CDU insgesamt und auch in Sachsen so sehe, jedenfalls „der überwiegende Teil“.