Analyse Analyse: Oettinger fährt die politische Kehrtwende
Berlin/MZ. - "Ich halte meine Formulierung nicht aufrecht", sagte Baden-Württembergs Ministerpräsident sichtlich angegriffen. Gemeint war der Satz, sein Vorgänger und frühere NS-Marinerichter Hans Filbinger sei "kein Nationalsozialist", sondern ein "Gegner des Regimes" gewesen. "Und ich bin deswegen hier, um mein Bedauern auszudrücken."
Gespräch mit Merkel
Das Gespräch mit Angela Merkel habe er "in objektiv guter Erinnerung", fuhr Oettinger in schwer zu deutender Sprache fort. Die Kanzlerin hatte ihm in ihrer Eigenschaft als CDU-Chefin zu verstehen gegeben, dass er die Perspektive der Opfer hätte berücksichtigen müssen. Auf die Frage nach dem Schaden sprach der Trauerredner: "Schaden ist wenn dann auch durch mich selbst zugefügt worden." So ähnlich hat er das im CDU-Präsidium wiederholt. Es habe keine weiteren Wortmeldungen gegeben. Die Affäre ist ausgestanden, ihr Urheber schwer beschädigt.
Jenseits des CDU-Landesverbandes Baden-Württemberg wundert man sich in der Partei unverändert, wie es zu der Trauerrede am Mittwoch kommen konnte. Oettinger habe um die von Filbinger mitverantworteten Todesurteile für Deserteure doch einen Bogen machen können. Für Erstaunen sorgt auch, wie lange dieser benötigte, um die Brisanz der Affäre zu erkennen. Bis Freitag fand Oettinger, alles richtig gemacht zu haben. Am Samstag sprach er von "Missverständnissen". Am Sonntag wiederholte er, Filbinger sei Nazi-Gegner gewesen. Am Montagmorgen machte er in "Bild" aus dem Gegner einen Mitläufer. Am Montagnachmittag ging er endgültig in Sack und Asche.
Der baden-württembergische CDU-Generalsekretär Thomas Strobl glaubt: "Mit der Entschuldigung von Herrn Oettinger ist die Debatte beendet. Er hat sich entschuldigt und deutlich gemacht, dass er aus heutiger Sicht eine andere Formulierung wählen würde. Mehr kann man eigentlich nicht verlangen." Vorwürfe, der Ministerpräsident habe am rechten Rand fischen wollen, wies der CDU-Politiker als "absurd" zurück. "Oettinger ist in diesem Punkt ganz unverdächtig."
Dimension nicht erkannt
Nachvollziehen kann Strobl die Aufregung nicht: "In einer Trauerrede, die an die Familie gerichtet ist, halte ich das, was er gesagt hat, nach wie vor für vertretbar. Was sicher falsch eingeschätzt worden ist, auch von mir, ist diese gewaltige öffentliche Wirkung, die diese Worte nach sich gezogen haben. In dieser Dimension waren die Reaktionen ganz sicher nicht einkalkuliert. Sonst hätte man es so ja nicht gesagt."
Ob etwas falsch ist, hängt also nicht vom Inhalt, sondern vom Zuhörer ab. Oettinger hat bis Montag auch so gedacht. Es hätte ihn fast den Kopf gekostet.