Analyse Analyse: Bombenanschlag schürt Terrorangst in Russland
Moskau/dpa. - DerBombenanschlag auf die russische Staatsbahn wirft nicht nur einSchlaglicht auf die instabile Sicherheitslage im größten Land derErde. Die Bluttat traf die meistbefahrene Strecke Moskau-St.Petersburg im Nordwesten des Landes. Zum zweiten Mal seit 2007 wurdedort der Luxuszug «Newski Express» mit einem selbst gebautenSprengsatz aus den Gleisen gerissen. Diesmal starben mindestens 25Menschen.
Das Attentat weckte bei vielen Russen vor allem schmerzhafteErinnerungen an frühere Terroranschläge auf zivile Ziele. Allein 2004kamen bei Attentaten auf die Moskauer Metro und auf zwei FlugzeugeDutzende Menschen ums Leben. Wer hinter der neuen Bluttat vom spätenFreitagabend steht, muss nach Angaben von Innenminister RaschidNurgalijew zwar noch aufgeklärt werden. Jedoch legten sich dierussischen Staatsmedien bereits am Sonntag auf eine tschetschenischeSpur fest.
Ermittler hatten schon nach dem Anschlag auf den «Newski Express»2007 zwei Tschetschenen festgenommen. Die Tat selbst soll allerdingsein ehemaliger russischer Soldat organisiert haben, der bisher nichtgefasst wurde. Dieser zu den tschetschenischen Terroristenübergelaufene Mann komme als Täter infrage, hieß es.
Tschetschenische und ihnen nahestehende Untergrundkämpfer habenimmer wieder Terroranschläge außerhalb der Unruheregion verübt. Siemeinen, damit besser auf ihre Lage hinweisen zu können. ImNordkaukasus kämpfen islamistische Rebellen gegen russischeSicherheitskräfte für ein von Russland unabhängiges Kaukasus-Emirat.Hier kommt es immer wieder zu schweren Terroranschlägen mit hohenOpferzahlen. Allerdings nimmt die russische Öffentlichkeit dieUnruhen dort kaum noch wahr.
Die Gewalt in den russischen Teilrepubliken Tschetschenien,Dagestan und Inguschetien hat in den vergangenen Monaten dramatischzugenommen. Auch nach Einschätzung von Menschenrechtlern droht demKreml die Lage zunehmend außer Kontrolle zu geraten. Russland war amSonntag wie in einem Schockzustand. Die Unfallstelle nahe der StadtBologoje rund 350 Kilometer nordwestlich von Moskau glich einemTrümmerfeld.
Vier der insgesamt 14 Wagen - 13 Waggons und die Lokomotive - des«Newski Express» waren von den Schienen gesprungen, als am Freitaggegen 21.34 Uhr Ortszeit (19.34 Uhr MEZ) eine Bombe mit einerSprengkraft von sieben Kilogramm TNT detonierte. Das Fernsehen zeigteein blutverschmiertes Gleisbett.
Teile des nach dem Fluss Newa benannten Zuges waren groteskverformt, und in den Trümmern klingelten zurückgelasseneMobiltelefone. Angaben über Todeszahlen reichten am Samstag bis zu39. Weil viele Passagiere von der Wucht des Sprengsatzes zerrissenwurden, hatten Gerichtsmediziner Probleme, die genaue Zahl der Totenzu nennen.
Experten in Moskau rechnen nach dem Anschlag mit einer weiterenVerschärfung des staatlichen Drucks im Land. Schon in den vergangenenJahren wurde etwa die Telefonüberwachung vereinfacht. Schon jetzthaben sich die meisten Russen allerdings daran gewöhnt, beiRestaurant- oder Kino-Besuchen durch Metalldetektoren zu gehen undihre Taschen durchsuchen zu lassen. Auch Leibesvisitationen sindkeine Seltenheit. Die Terrorangst ist allgegenwärtig in Russland.
Noch im Frühjahr musste sich Regierungschef Wladimir Putin dafürrechtfertigen, das Defizit des Staatshaushalts mit Mehrausgaben auchfür die innere Sicherheit zu vergrößern. Nach dem Anschlag dürftediese Kritik leiser werden. Staatsschutz war für Putin schon inseiner Amtszeit als Präsident ein zentrales Thema.
Moskauer Medien zufolge zeigt der Anschlag, für den einigerechtsextremistische Kreise verantwortlich machen, aber auch dieZustände bei der Polizei und der Feuerwehr des Landes. Fast eineStunde lang hätten die Passagiere auf Rettungskräfte oder auch nurauf Informationen warten müssen, sagte der Petersburger IngenieurStanislaw Aranowski dem Fernsehsender Westi. Auf seine Fragen hinhätten die Schaffner des teilweise umgestürzten Zuges gesagt, es sei«nichts Besonderes» geschehen. Die Fahrt gehe «gleich weiter».