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Amoklauf 2002 in Erfurt Amoklauf 2002 in Erfurt: Polizeichefs wegen unterlassener Hilfeleistung angezeigt

Von Eike Kellermann 03.03.2004, 08:35
Schüler des Gutenberg-Gymnasiums legen am Samstag (26.04.2003) auf dem Domstufen des Erfurter Doms während der Gedenkfeier für die Opfer des Schulmassakers 16 Blumengebinde nieder. (Foto: dpa)
Schüler des Gutenberg-Gymnasiums legen am Samstag (26.04.2003) auf dem Domstufen des Erfurter Doms während der Gedenkfeier für die Opfer des Schulmassakers 16 Blumengebinde nieder. (Foto: dpa) dpa

Erfurt/MZ. - Das Massaker am Erfurter Gutenberg-Gymnasium 2002 beschäftigt erneut die Justiz. Die Generalstaatsanwaltschaft Jena prüft eine Anzeige des Erfurter Rechtsanwalts Eric Langer, unter anderem wegen unterlassener Hilfeleistung in fünf Fällen. Langers Lebensgefährtin war unter den 16 Opfern, die ein ehemaliger Schüler der Schule erschossen hatte. Langer glaubt, dass die Einsatzführung fehlerhaft war.

"Ich werde mich nicht mehr im Spiegel anschauen können, wenn ich es nicht mache", sagt Eric Langer, Rechtsanwalt in Erfurt. Er hat die Strafanzeige bei der Thüringer Generalstaatsanwaltschaft eingereicht, weil er den Rettungseinsatz am Gutenberg-Gymnasium für "katastrophal" hält.

Am 26. April 2002 wurde dort seine Lebensgefährtin, die Kunstlehrerin Birgit Dettke, erschossen. Insgesamt 16 Menschen ermordete der 19-jährige Robert Steinhäuser an jenem schwarzen Freitag, ehe er sich selbst tötete.

Langers Strafanzeige zufolge feuerte der Attentäter, ein früherer Schüler des Gymnasiums, gegen 11.13 Uhr die Schüsse auf Frau Dettke ab. Diese brach schwerverletzt auf dem Schulhof zusammen. Langer ist der Ansicht, dass sie noch mehr als eine Stunde bis 12.34 Uhr gelebt hat. "Man hätte sie problemlos bergen können", weil ein Rettungswagen in etwa 40Metern Entfernung gestanden habe. Langers Informationen beruhen auf umfangreichen Zeugenbefragungen, auf der Auswertung des Funkverkehrs und auf Bildaufnahmen eines Fernsehsenders.

Aus Furcht vor einem zweiten Täter wurde die Schule nur sehr langsam von einem Sondereinsatzkommando eingenommen. Steinhäuser hatte sich bereits um 11.17 Uhr selbst getötet.

Im kürzlich erschienenen Buch "Für heute reicht's" von Ines Geipel, das für kontroverse Diskussionen in Erfurt gesorgt hat, heißt es, die Kunstlehrerin habe zunächst Schüler außerhalb des Geländes in Sicherheit gebracht. Dann sei sie zur Schule zurückgeeilt, um weiteren Schutzsuchenden zu helfen. Zwischen den parkenden Autos habe Steinhäuser sie entdeckt und aus nächster Nähe geschossen. Ein Zeuge hörte ihre Schreie: "Hilfe, Hilfe, warum hilft mir keiner!"

Die 22 Seiten umfassende Strafanzeige sieht, ohne konkret Beschuldigte zu nennen, eine unterlassene Hilfeleistung in fünf Fällen. Das betrifft zwei weitere Lehrer sowie die beiden bei dem Massenmord umgekommenen Schüler. Mit den Hinterbliebenen dieser Opfer sei das Vorgehen abgesprochen, sagt Rechtsanwalt Langer, der sich seit dem Attentat im Jahr 2002 immer wieder kritisch über den Rettungseinsatz, aber auch den Umgang mit den Angehörigen geäußert hat. Zur Strafanzeige gehört im weiteren der Vorwurf, Totenscheine fehlerhaft ausgestellt zu haben. Darüber hinaus wirft Langer der Staatsanwaltschaft Strafvereitelung vor, weil sie nicht tätig geworden sei.

Die Generalstaatsanwaltschaft Jena, bei der die Anzeige am Dienstag einging, will "zeitnah" das weitere Vorgehen festlegen. Sprecher Markus Bechtelsheimer sagte, der "sehr, sehr umfangreiche" Schriftsatz müsse zunächst sorgfältig geprüft werden. Auch das Thüringer Justizministeriums untersucht gegenwärtig erneut die Morde.