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Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz: Zu hohe Hürden bei der Umsetzung

Von Melanie Reinsch 09.08.2016, 14:44
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt zehn Jahre nach der Verabschiedung des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes“ (AGG) in Berlin den Evaluationsbericht zu der Umfrage „Diskriminierung in Deutschland“.
Die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt zehn Jahre nach der Verabschiedung des „Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetztes“ (AGG) in Berlin den Evaluationsbericht zu der Umfrage „Diskriminierung in Deutschland“. dpa-Zentralbild

Berlin - Mehr als 31 Prozent der Menschen in Deutschland ab 14 Jahren haben in den vergangenen zwei Jahren Diskriminierung erfahren – aus rassistischen Gründen oder wegen ihrer ethnischen Herkunft, ihres Geschlechts oder Geschlechtsidentität, ihrer Religion oder Weltanschauung, weil sie behindert oder krank sind, wegen ihres Alters oder ihrer sexuellen Orientierung. Zu diesem Ergebnis kommt eine repräsentative Umfrage der Antidiskriminierungsstelle des Bundes (ADS)  aus dem Jahr 2015, die am Dienstag, zehn Jahre nach Einführung des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), eine Evaluation zum sogenannten Antidiskriminierungsgesetz vorlegt hat.

Das Gesetz hat das Ziel, Benachteiligung zu verhindern oder diese zu beseitigen und Rechtsansprüche gegenüber Arbeitgebern oder Privaten geltend zu machen. Mit dem Gesetz wurde gleichzeitig auch die Antidiskriminierungsstelle des Bundes gegründet.

Benachteiligung wird geächtet und thematisiert

„Die Einführung des AGG war ein Meilenstein. Jede und jeder Einzelne in Deutschland hat seitdem ein Recht auf Gleichbehandlung im Arbeitsleben und bei Alltagsgeschäften“, sagte die Leiterin der Antidiskriminierungsstelle, Christine Lüders. Damals hätte man vor „Milliardenkosten“ und vor einem „Bürokratiemonster“ gewarnt. Der Schutz vor Diskriminierung sei aber inzwischen aus den „Kinderschuhen herausgetreten“ und zur Selbstverständlichkeit geworden. „Die Menschen sind wachsamer geworden und reagieren auf Diskriminierung“, sagte sie. Da hieße jedoch nicht, dass Benachteiligung verschwunden sei, aber sie sei geächtet und werde thematisiert. Doch wenn Menschen dieses Recht durchsetzen wollten, seien die Hürden oft zu hoch. „Wir müssen an das AGG noch mal heran“, forderte  Lüders.

Rund 15.000 Menschen haben sich seit 2006 an die Antidiskriminierungsstelle gewandt – eine geringe Zahl, vergleicht man, dass fast jeder Dritte Ungleichbehandlung erfahren hat.

Reformbedarf bei der Frist zur Geltendmachung

„Recht haben und Recht bekommen, ist ein weiter Weg. Für viele Betroffene ist dieser Weg zu  weit“, sagte dazu Alexander Klose vom Büro für Recht und Wissenschaft in Berlin, das mit der Evaluation beauftragt war. „Die Gründe dafür sind vielfältig“, sagte er. Diskriminierung müsse erst einmal als solche wahrgenommen werden. Oft fehle es an Wissen darüber, wo und wie man sich wehren könne. In anderen Fällen verhindere die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes den Gang zu einer Beratungsstelle. Auch die Sorge vor Kosten oder psychischen Belastungen hielten Menschen davon ab, ihre Rechte durchzusetzen. „Die Evaluation kommt zu dem Ergebnis, dass die Bedingungen für die Durchsetzung dieses Rechts für diskriminierte Personen verbessert werden müssen“, sagte Klose.

Reformbedarf sehen die Wissenschaftler in der Frist zur Geltendmachung. Derzeit müssen Betroffene Schadenersatzansprüche innerhalb von zwei Monaten schriftlich geltend machen. Diese Frist solle auf sechs Monate verlängert werden.

Da viele diskriminierte Menschen davor zurückschreckten ihre Erfahrungen vor den Gerichten zu schildern, sollen nach Meinung des Evaluationsteams die Befugnisse der Antidiskriminierungsverbände durch ein Verbandsklagerecht ausgeweitet werden, so dass Verbände  Prozesse für Betroffene führen könnten.

Der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Deutschen Bundestag, Stephan Harbarth, lehnt das Verbandsklagerecht ab: „Jeder Einzelne hat bereits heute die Möglichkeit, sein Recht zu suchen und auch zu finden. Dafür steht unser Rechtsstaat und deshalb sind wir auch seit langem das Vorbild für viele ausländische Rechtsordnungen.“

Schutz über den Arbeitsplatz hinaus ausweiten

Nach dem AGG ist die sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz verboten. Die Experten der Evaluation fordern,  dass der Schutz jedoch auch über den Arbeitsplatz hinaus auf alle im AGG genannten Lebensbereiche ausgeweitet werden solle – zum Beispiel, wenn eine Kundin in einem Geschäft sexuelle Belästigung widerfahre.

Besonders Frauen seien häufig mit sexualisierter Belästigung konfrontiert, betonte  auch Ulle Schauws, Sprecherin der Grünen für Frauenpolitik.  „Das AGG ist wegweisend für eine rechtliche Bekämpfung dieser diskriminierenden Strukturen, eine Reform des Gesetzes ist nach zehn Jahren überfällig, sagte sie. Einen eigenen Antrag dazu  wollen die Grünen nach der Sommerpause im  Bundestag diskutieren lassen.

Kommunale und regionale Beratungsstrukturen gefordert

Auch im Bereich Barrierefreiheit sehen die Wissenschaftler Justierungsbedarf, da sich diese vielerorts noch nicht durchgesetzt habe.  Im Antidiskriminierungsgesetz müsse daher klargestellt werden, dass es eine verbotene Diskriminierung darstelle, wenn Menschen mit Behinderung angemessene Vorkehrungen versagt werden.

Unterstützung für eine Reform kommt auch von der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Elke Hannack: „Das AGG hat – trotz einiger Defizite – unser Land voran gebracht“, sagte sie. „Um sich besser gegen Diskriminierung wehren zu können, sind allerdings Verbesserungen geboten.“ Neben innerbetrieblichen Beschwerdestellen bräuchte es auch kommunale und regionale Beratungsstrukturen, um von Diskriminierung Betroffene zu unterstützen.