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Afrika Afrika: Piratenjagd im Golf von Aden

Von HARALD BISKUP 10.07.2009, 16:47

Halle/MZ. - Die zusammen 51 000 PS leistenden Gasturbinen können den Koloss, wenn nötig, bis auf 30 Knoten beschleunigen. Soldaten mit Stahlhelm und Splitterweste bringen steuerbords ihr Sturmgewehr G-36 in Stellung. Während der Kommandant, Fregattenkapitän Ulrich Brosowsky, mit dem Feldstecher seinen Blick über die Wasseroberfläche schweifen lässt, wird das 130 Meter lange und vierzehn Meter breite Schiff gefechtsklar gemacht. Wir befinden uns mit der deutschen Fregatte "Emden" auf Patrouillenfahrt im Golf von Aden. Von Sallalah aus, im Süden des Oman gelegen, geht es ins ostafrikanische Djibouti.

Gefährlichste Route der Welt

Um 9.22 Uhr ist über Kanal 16 der Notruf eines Handelsschiffs eingegangen. "Mayday, Mayday, Mayday. Wir werden von Piraten umzingelt." Der Alarm wurde zuerst von der "Trossö" aufgenommen, eines ebenfalls im Golf von Aden operierenden Versorgungsschiffs der schwedischen Marine. Die Schweden sind wie die Deutschen beteiligt an der EU-Mission Atalanta, die die Seefahrt auf dieser gefährlichsten Route der Welt mit etwa 20 000 Schiffspassagen pro Jahr schützen und die Piraterie eindämmen soll.

Den Kapitän, ein Gemütsmensch aus Wilhelmshaven, kann so leicht nichts erschüttern. Seit November gebietet er über die "Emden" und ihre 220 Mann Besatzung. "Ich will mir ein genaues Lagebild verschaffen", sagt er und lässt sich am Monitor die exakten Koordinaten zeigen. Die Nussschalen der tatsächlichen oder vermeintlichen Piraten sind für das Radar der Kriegsschiffe praktisch unsichtbar. Nach fast sechs Monaten im Einsatz ist das Überprüfen einer arabischen Dhau, die zu hunderten durch den Golf schippern, längst Routine.

Unterdessen hat sich die "Trossö" dem schwankenden Boot bis auf eine halbe Seemeile genähert. Man hat die Deutschen um Unterstützung gebeten, weil zur Crew der "Emden" ein so genanntes Boarding Team gehört, das das verdächtige Boot durchsuchen und die Besatzung notfalls festnehmen könnte. "Wir haben mehrere Eskalationsstufen", sagt der Elektronikoffizier Jankowski, "generell ist natürlich erst mal jede Dhau als ein potenzielles Piratennest verdächtig." Sichten die Soldaten Leitern an Bord, steigt ihr Misstrauen beträchtlich. Sie sind das klassische Hilfsmittel zum Entern. Zwischen dem Auftauchen von Piraten und dem Kapern eines Schiffes vergeht meist keine Viertelstunde. Die Seeräuber sind flink - und erfinderisch, was ihre Hilfsmittel angeht. Auch ehemalige Kronleuchter sind schon zu Enterhaken umfunktioniert worden.

Bevor er den Befehl zu weiteren Aktionen gibt, will Kapitän Brosowsky mehr Details wissen. "Wir gehen immer erst mal vom worst case aus: dass sie gut bewaffnet sind und Böses im Schild führen." Rein äußerlich sind Piraten nicht von harmlosen Fischern zu unterscheiden, und Korvettenkapitän Jankowski weiß: "Jeder Fischer von heute kann der Pirat von morgen sein."

Inzwischen sind die Gestalten an Bord mit bloßem Auge zu erkennen. Sechs, sieben junge Männer recken die Arme hoch. In diesem Augenblick wird die strategische Übermacht der Militärs in diesem seltsamen asymmetrischen Konflikt überdeutlich. Jeder Fluchtversuch wäre aussichtslos.

Etwa 75 Seemeilen von der jemenitischen Kürste entfernt ordnet der Kommandant einen "approach" an, eine "Annäherung", die etwas weniger martialisch wirkende Vorstufe des Boardings. Ein Speedboot mit neun Soldaten wird zu Wasser gelassen und nimmt Kurs auf die Dhau. Ein Kunststoffboot, drei bis vier Meter lang, mit Außenbordmotor. Die Anspannung steigt. Mit welchen Waffen sind die Männer ausgerüstet? Sollten sie, was häufig vorkommt, einen oder mehrere "RPG-7" mit sich führen, Granatwerfer russischer Provenienz, liegt der Fall ziemlich klar. Die Speedboot-Besatzung, zu der auch ein arabisch sprechender Dolmetscher in Tarnfleckuniform gehört, gibt per Funk die ersten Erkenntnisse durch: Treibstofffässer befinden sich an Bord, eindeutig weit mehr als zum Eigenbedarf notwendig.

Kalaschnikows an Bord

Das provoziert die Neugier von Kapitän Brosowsky. Ihn interessiert vor allem, ob es sich um dieselbe Dhau handelt, die seine Leute vor zehn Tragen schon einmal erfolglos auf den Kopf gestellt haben. Die Befragung gestaltet sich kompliziert und langwierig. "Die sind genau gebrieft, was sie sagen sollen und was nicht. Die meisten sind inzwischen völlig abgebrüht. Sie wissen, wenn wir nichts finden, müssen wir sie ziehen lassen." Theoretisch könnte es sich auch um ein Mutterschiff handeln, das kleinere Schiffe mit Sprit und Nahrung versorgt. In der Nähe sind aber keine Skiffs gesichtet worden. Als das Boarding Team auf große Mengen Eis zum Kühlen von Fisch stößt, erscheint es ziemlich sicher, dass es sich nicht um Seeräuber handelt. Die Somalis behaupten, selbst schon dreimal von Piraten angegriffen worden zu sein. Bereitwillig zeigen sie ihre zwei Kalaschnikows. "Zur Selbstverteidigung absolut normal in dieser unsicheren Region", meint gelassen der zweite Schiffseinsatzoffizier Andreas Scheiba und greift zum Fernglas. Von sich aus präsentiert der Schiffsführer die Besatzungsliste. Das "kooperative Verhalten" wird mit einem Beutel Obst und Frischwasser belohnt. "Einfach eine nette Geste", sagt der Kapitän.

Die "Emden" nimmt wieder Kurs auf der regulären Route Richtung Djibouti. Wir befinden uns "auf der Autobahn". So heißt im Marine-Jargon jener fiktive Kanal, den die internationale Seefahrt als Schutzkorridor im Golf von Aden eingerichtet hat. Handelsschiffe melden sich mit ihrer Position, allen wichtigen Daten wie Mannschaft, Ladung anzulaufende Häfen an und erhalten Geleitschutz. Heute sind zum Beispiel das deutsche Containerschiff "Bavaria Express" und der Passagierdampfer "Sea Princess" unterwegs. Mögen diese Eskorten im fernen Deutschland auch belächelt werden und mögen Spötter die (den meist mit GPS ausgestatteten) Seeräubern natürlich bekannte Route "Pirate Alley" (Piraten-Allee) nennen: Die Statistiken zeigen eindeutig, dass Piratenübergriffe seit Einrichtung dieser Schutzzone zurückgegangen sind.

"Entweder wir haben sie zurückgedrängt oder sie lassen sich vom schlechten Wetter abschrecken oder eine Mischung aus beidem", analysiert eine Runde bei Kartoffelsalat und Würstchen in der Offiziersmesse. Der "Emden" machen die fünf bis sechs Meter hohen Wellen durch den einsetzenden Monsun bei der Einfahrt in den Golf von Aden nichts aus. Die Piraten sind zwar mutig, aber nicht lebensmüde und warten auf ruhigere See. "Das Piraten-Sommerloch", witzelt ein Oberbootsmann, der bei 43 Grad im Schatten (!) das Deck fegt.

Ein Restverdacht bleibt

In seiner "Kammer", einer vergleichsweise luxuriösen Doppelkabine mit Schlafbereich und einer Art Wohn- / Arbeitszimmer mit Couch und Schreibtisch, macht Ulrich Brosowsky kein Hehl daraus, dass nach dem "Approach" bei ihm ein Restverdacht bleibt, wieder mal. Zwischen gut und böse zu unterscheiden, ist extrem schwierig.

Auf dem Hauptdeck demonstriert ein Feldjäger-Major, wie man mit verhafteten Piraten bis zu ihrer "Überstellung" nach Kenia verfahren würde. Weil auf dem ursprünglich zur U-Boot-Jagd konzipierten Kriegsschiff keine Gewahrsamszellen vorhanden sind, würde auf dem Hauptdeck ein Notquartier mit Sonnenschutz eingerichtet.

Als es dämmert, erreicht die "Emden" ein neuer Notruf, der sich aber als Fehlalarm entpuppt. "Die Nerven vieler Kapitäne liegen blank", erzählt Kapitänleutnant Scheiba. Oft fahren somalische Fischer mit ihren Dhaus im Kielwasser großer Schiffe, um im 32 Grad warmen Wasser Jagd auf Thunfischschwärme zu machen.

Auf dem Schreibtisch von Kommandant Brosowsky liegt eine aufgerissene Tüte Lakritz der Marke "Piratos". Nervennahrung.