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Abtrünnige Abtrünnige: Diese Politiker haben die Partei gewechselt

Von Kordula Doerfler 08.08.2017, 14:18
Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Elke Twesten wechselte von den Grünen zur CDU.
Die niedersächsische Landtagsabgeordnete Elke Twesten wechselte von den Grünen zur CDU. dpa

Berlin - Sie wird von SPD und Grünen als Verräterin und eigennützige Rächerin beschimpft, die CDU ist von ihr entzückt. Der Wechsel der niedersächsischen Landtagsabgeordneten Elke Twesten von den Grünen zur CDU hat heftige Emotionen hervorgerufen. Sehr verwunderlich ist das nicht, schließlich hat Twesten so mal eben eine Regierung gestürzt. Die rot-grüne Landesregierung von Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) stützte sich auf die hauchdünne Mehrheit von einer Stimme im Landtag. Die Umstände des Übertritts sind noch nicht ganz geklärt: Es gibt Gerüchte über ein „unmoralisches Angebot“ der CDU, die bei den nun angesetzten Neuwahlen hofft, die Regierungsmacht zu übernehmen. Die CDU versichert, Twesten sei nichts versprochen worden. Für eine Aufstellung für Bundestags- oder Landtagswahl ist es tatsächlich zu spät. Allerdings hat Twesten selbst für Spekulationen, da sie wolkig darauf verwiesen hat, dass es ja auch noch andere Wahlen gebe. Ihr Mandat behält sie bis zur Wahl im Oktober.

Wie es andere Parteiwechsler gehalten haben, zeigt die Übersicht.

Parteiwechsel haben auch schon die Gerichte beschäftigt. Die Linkspartei etwa wollte 2012 Pia Döring dazu zwingen, ihr Landtagsmandat niederzulegen. Döring war für die Linkspartei gewählt worden, und wenige Wochen nach der Wahl zur SPD gewechselt. „Betrug am Wähler“, schimpfte die Linkspartei. Die Landesverfassungsrichter urteilten kühl: Ein solcher Wechsel ist zulässig. Das Mandat sei nicht an die Mitgliedschaft in einer bestimmten Partei gebunden.

Ingrid Matthäus-Maier – 1982 von der FDP zur SPD

Sie war eine der führenden FDP-Politikerinnen, Mitglied des Parteivorstands, Vorsitzende des Finanzausschusses des Bundestags. Dann verließ die FDP 1982 unter ihrem Chef Hans-Dietrich Genscher die sozialliberale Koalition, stürzte damit Kanzler Helmut Schmidt und inthronisierte den CDU-Mann Helmut Kohl. Matthäus-Maier verlässt die FDP, gibt ihr Parlamentsmandat zurück und tritt in die SPD ein, für die sie bei der nächsten Bundestagswahl 1983 wieder ins Parlament einzieht. Auch hier rückt sie schnell nach oben, als finanzpolitische Sprecherin, Vize-Fraktionschefin und Mitglied des Parteivorstands. Nach ihrem Rückzug aus dem Bundestag 1999 ging die heute 71-Jährige zur Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW).

Otto Schily – 1989 von den Grünen zur SPD

Er gründete die Grünen mit, als die 1983 erstmals in den Bundestag einzogen, war Otto Schily mit dabei. Sechs Jahre später ist Schluss. Er ärgert sich über Positionen der Grünen, aber offenbar auch über mangelnde Wertschätzung: Er war nicht in den Fraktionsvorstand gewählt worden. Schily trifft nach eigenen Worten „eine der schwierigsten Entscheidungen“ seines politischen Lebens und wechselt zur SPD. Sein Bundestagsmandat gibt er ab, wird aber ein Jahr später als Sozialdemokrat wieder ins Parlament gewählt. Dort steigt er auf vom Innenexperten zum Innenminister der beiden rot-grünen Bundesregierungen. Wegen seiner harten Linie in der Inneren Sicherheit ist der einstige RAF-Anwalt bei Grünen wie SPD-Linken umstritten. Der heute 85-Jährige saß bis 2009 im Bundestag.

Oskar Lafontaine – 2005 von der SPD zur Linkspartei

Sein Rückzug aus der SPD war ein Schlag, von dem sich die Partei bis heute nicht erholt hat: 1999 schmeißt Oskar Lafontaine zunächst als SPD-Chef und Finanzminister hin, wegen Differenzen mit Bundeskanzler Gerhard Schröder, dem er nach gerade mal einem halben Jahr Regierungszeit schlechtes Mannschaftsspiel vorwirft. Lafontaine, der selbst auch gerne Kanzler geworden wäre, wird zum Gegenspieler Schröders – und seiner einstigen Partei. Deren Konkurrenz Linkspartei baut er auf, indem er 2005 den Zusammenschluss der westdeutschen „Wahlalternative Arbeit & soziale Gerechtigkeit“ (WASG) mit der ostdeutschen PDS betreibt. Als Polit-Promi zieht er zusätzlich Wähler. In der Linkspartei übernimmt Lafontaine umgehend Spitzenposten. Schröder verliert die Bundestagswahl.

Helmerich, Kaufmann, Heyenn

Oskar Helmerich – 2016 von der AfD zur SPD

Auf diesen Fall verweist die Niedersachsen-CDU jetzt gerne. Allerdings geht es dabei nicht um einen Sturz einer Regierung, sondern um eine leichte Stabilisierung: 2016 nimmt die SPD-Fraktion im Thüringer Landtag Oskar Helmerich auf. Der hatte zuvor die AfD verlassen, weil er sich von dem Rechtskurs des Landeschefs Björn Höcke nicht vertreten fühlte. Die dünne rot-rot-grüne Mehrheit der Landesregierung, erhöhte sich mit dem heute 57-Jährigen auf zwei Abgeordnete. Durch den Wechsel der Landtagsabgeordneten Marion Rosin (48) von der SPD zur CDU in diesem Jahr wurde die von der Linkspartei geführte Koalition wieder wackeliger.

Sylvia-Yvonne Kaufmann - 2009 von der Linken zur SPD

Die Ost-Berlinerin war von Beginn an Mitglied von PDS und Linkspartei, mehrere Jahre auch als Vize-Parteichefin und als PDS-Spitzenkandidatin fürs Europaparlament. Ihrer Partei ist sie zuletzt zu wenig europaskeptisch, sie wird 2009 nicht erneut für die Europawahl aufgestellt. Ihren Wechsel zur SPD verkündet sie mit dem damaligen SPD-Chef Franz Müntefering – und mit dem damaligen SPD-Spitzenkandidaten für die Europawahl. Der heißt Martin Schulz, ist heute Kanzlerkandidat und wirft der Niedersächsin Twesten einen Rachefeldzug vor.

Dora Heyenn – 2017 von der Linken zur SPD

Aus Protest gegen die Agenda-2010-Politik von Gerhard Schröder verließ Dora Heyenn 1999 die SPD. Für die Linkspartei war sie sieben Jahre Fraktionsvorsitzende in der Hamburger Bürgerschaft. 2015 ist sie in der Hansestadt erneut Spitzenkandidatin ihrer Partei, scheitert aber bei der Wahl zur Fraktionschefin. Ihre Kritiker halten sie für zu präsent. Heyen tritt aus der Linken aus und zwei Jahre später – vor nicht einmal einem Monat - in die SPD ein. Dessen Bürgermeister Olaf Scholz hatte sie zuvor stets heftig angegriffen. Die Rückkehr zu ihrer ehemaligen Partei begründete sie damit, dass sich die Linken nach den G20-Krawallen nicht ausreichend vom Schwarzen Block distanziert hätten. Ihr Mandat behielt sie.

Günter Verheugen, 1982 von der FDP zur SPD
Willy Brandt hatte den Liberalen vorgewarnt. „Ein Parteiwechsel in Deutschland hat immer ein gewisses Odium, die Leute verstehen das nicht, das müssen Sie wissen“, sagte der SPD-Vorsitzende im Jahr 1982, als er um Günter Verheugen und andere Mitglieder der FDP warb. Die FDP hatte kurz zuvor die sozialliberale Koalition unter Helmut Schmidt aufgekündigt. Das sei für ihn Verrat gewesen, begründete der FDP-Generalsekretär Verheugen seinen Austritt, und eine Frage der politischen Moral. Zusammen mit anderen prominenten Liberalen trat der heute 73-Jährige der SPD bei, für die er bis 1999 im Bundestag saß.

Mende, Bayram, Öney und weitere Parteiwechsler

Erich Mende, 1970 von der FDP zur CDU

Dass der einstige Wehrmachtoffizier Erich Mende nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs erst einmal bei den Liberalen landete, hat er selbst einmal als reinen Zufall bezeichnet. Der gebürtige Schlesier macht im Rheinland Karriere und wird in den 60er Jahren Parteichef der FDP. Darauf hatte er zielbewusst und zäh hingearbeitet. 1970 verlässt er die Partei im Unfrieden und wechselt mit zwei weiteren FDP-Abgeordneten  in die Unionsfraktion, zutiefst unzufrieden mit der Ostpolitik der sozialliberalen Koalition. Auch mehrere Sozialdemokraten laufen zur CDU über – die dramatischen Ereignisse im Jahr 1972, mit einem Misstrauensvotum gegen Brandt, das dieser übersteht - waren die Folge.

Canan Bayram, 2009 von der Berliner SPD zu den Grünen
Bilkay Öney, 2009 von den Berliner Grünen zur SPD

Die Berliner Rechtsanwältin und Abgeordnete hat Großes vor, sie bewirbt sich bei der Bundestagswahl in Berlin-Kreuzberg um das Direktmandat, das bisher Christian Ströbele als einziges für die Grünen geholt hat. Begonnen hat Bayram ihre Karriere aber in der SPD, erst 2009 verlässt sie die SPD und wechselt in Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus. Den umgekehrten Weg nimmt wenige Tage später die Berliner Grünen-Abgeordnete Bilkay Öney, die Partei und Fraktion in Richtung SPD verlässt. 2011 wird sie Integrationsministerin in der damaligen grün-roten Regierung in Baden-Württemberg.

 

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