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«Abstimmung mit den Füßen» «Abstimmung mit den Füßen»: Schuhe als politisches Protestsymbol

Von Marc Kalpidis 07.01.2012, 14:40

Berlin/dapd. - Der frühere US-Präsident George W. Bush,Ex-IWF-Direktor Dominique Strauss-Kahn und der türkischeMinisterpräsident Recep Tayyip Erdogan haben es bereits am eigenenLeib erfahren. Und spätestens seit Samstag dürfte nun auch ChristianWulff wissen, dass sich Schuhe als Protestsymbol eignen. Im Fall desBundespräsidenten war die gewaltfreie Aktion am Samstag vor seinemBerliner Amtssitz zwar von Facebook-Nutzern mit Sinn für Humororganisiert worden. Allerdings gab es auch schon wenigeraugenzwinkernd gemeinte Attacken auf prominente Politiker.

Gerade in islamischen Kulturen haben Schuhe als Protestsymboleine gewisse Tradition. Sie gelten unter Muslimen als unrein undmüssen etwa beim Betreten einer Moschee immer ausgezogen werden. DemSitznachbarn beim Fläzen im Stuhl seine Schuhsohle zuzuwenden istdeshalb verpönt. Jemanden gar mit Schuhen zu bewerfen, ist eine ganzbesonders schlimme Form, Verachtung zu bekunden. So gingen nach demSturz des irakischen Machthabers Saddam Hussein im April 2003 Bilderum die Welt, wie Iraker mit Schuhen auf dessen Statue einschlugen.

Zu internationaler Berühmtheit gelangte im Dezember 2008 derirakische Journalist Muntadhar al Seidi: Auf einer Pressekonferenzin Bagdad schleuderte er George W. Bush sein Fußwerk entgegen undbedachte ihn in arabischer Sprache mit den wenig schmeichelhaftenWorten: «Das ist Dein Abschiedskuss, Du Hund! Das ist von denWitwen, den Waisen und all denen, die im Irak getötet wurden!»

Zwtl.: Auch Journalisten verlieren mal die Fassung

Damit wurde er über Nacht zum Helden jener Bevölkerungsgruppen inder arabischen Welt, die den Irak-Krieg und die Besatzungspolitikder USA in der Region ablehnten - musste aber trotzdem für neunMonate ins Gefängnis. Zwar wich Bush den zweckentfremdeten Treterngeschmeidig aus, al Seidis Protestaktion indes fand wegen ihresSymbolcharakters auch in anderen Ländern zahlreiche Nachahmer.

Etwa in England, wo im Februar 2009 ein deutscher Student dendamaligen chinesischen Ministerpräsidenten Wen Jiabao mit einemSchuh bewarf und so gegen dessen Rede an der Universität Cambridgeprotestierte. Oder wenige Tage darauf in der Uni Stockholm: Dortwurden zwei Unruhestifter festgenommen, die erst das Flugverhalteneines Schuhs und dann die ballistische Kurve eines Buchs in derPraxis erforschten - zum Leidwesen des israelischen Botschafters inSchweden, den die Störer als prominentes Ziel auserkoren hatten.

Dass Journalisten nicht immer in der Lage sind, professionelleDistanz zu bewahren, stellte wiederum zwei Monate später einindischer Medienvertreter unter Beweis. Auf einer Pressekonferenz inNeu-Delhi nahm er den Innenminister des Landes aufs Korn undverfehlte mit seinen blau-weißen Turnschuhen nur knapp dessenGesicht. Der krisengestählte Politiker ließ sich nichts anmerken undging nach der Festnahme des Mannes wieder zu den Fragen derJournalisten über.

Zwtl.: «Das ist für die toten Iraker!»

Bevor Dominique Strauss-Kahn ins Zwielicht einer Sex-Affärerückte, zog er sich Ende 2009 als Chef des InternationalenWährungsfonds den Unmut türkischer Studenten zu. Bei einerVeranstaltung in Istanbul schimpfte ein politisch engagierterJungakademiker «IWF, hau ab!» und attackierte den Franzosen mitseinem Sportschuh. Der sauste aber ins Leere. Sicherheitsbeamtekonnten den Demonstranten überwältigen.

Glück hatte auch der für seine kontroversen Äußerungenberüchtigte türkische Regierungschef Erdogan bei einerSpanien-Visite im Februar 2010. Als er mit seiner Frau ins Autosteigen wollte, flog der Treter eines illegal in Spanien lebendenSyrers über ihn hinweg. Einem Rundfunkbericht zufolge rief derAngreifer «Lang lebe Kurdistan» - eine Anspielung auf dieumstrittene Politik Erdogans gegenüber der kurdischen Minderheit imSüdosten des Landes.

Live im Fernsehen übertragen wurde gar ein Angriff auf denfrüheren australischen Ministerpräsidenten John Howard. EinZuschauer bewarf ihn im Oktober 2010 während einer TV-Sendung ausProtest gegen den Irak-Krieg mit Schuhen. «Das ist für die totenIraker», rief der Mann, als Howard seinen Entschluss verteidigte,2.000 australische Soldaten in das krisengebeutelte Land zuentsenden. Nachdem die Schuhe vorbeigerauscht waren, beschwichtigteder Konservative den besorgten Moderator, lächelte den Vorfall miteinem «Vergessen Sie es, vergessen Sie es» weg - und fuhr ungerührtmit seiner Rechtfertigung fort.