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1989 1989: Die Mauer ist offen

Von Jutta Schütz 06.11.2009, 13:58
Jubelnde Menschen sitzen mit Wunderkerzen auf der Berliner Mauer am 11.11.1989. Nach der Öffnung eines Teils der deutsch-deutschen Grenzübergänge in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 reisten Millionen DDR-Bürger für einen kurzen Besuch in den Westen. (FOTO: DPA)
Jubelnde Menschen sitzen mit Wunderkerzen auf der Berliner Mauer am 11.11.1989. Nach der Öffnung eines Teils der deutsch-deutschen Grenzübergänge in der Nacht vom 9. auf den 10. November 1989 reisten Millionen DDR-Bürger für einen kurzen Besuch in den Westen. (FOTO: DPA) dpa

Berlin/dpa. - Nach mehr als 28Jahren der Trennung konnten viele in Ost und West die Weltsensationzunächst nicht fassen. Doch dann gab es kein Halten mehr. TausendeOstler strömten noch in der Nacht zu den Grenzen, die nach und nachgeöffnet wurden. Trabis knatterten erstmals auf westlichen Straßen.So mancher konnte gar nicht aufhören, fremde Landsleute zu umarmenund sein Glück herauszuschreien. Es war Weltgeschichte pur: Auf derMauer am Brandenburger Tor in Berlin tanzten die Menschen.

Es war genau 18.53 Uhr, als SED-Spitzenfunktionär GünterSchabowski auf einer internationalen Pressekonferenz in Ost-Berlinzum neuen DDR-Reisegesetz stockend und fast konfus verkündete: «Dastritt nach meiner Kenntnis... ist das sofort...unverzüglich.» Deritalienische Journalist Riccardo Ehrman hatte gefragt, wann dieErleichterungen in Kraft treten. Mauerfall halb aus Versehen oderinszenierter Plan?

Ex-SED-Generalsekretär Egon Krenz ist noch immer sauer auf seineneinstigen Mitstreiter Schabowski - der habe die Grenzöffnung zu frühund allein herausposaunt. Erst am 10. November hätten die Posten dieGrenzen per Befehl öffnen sollen. Diese Darstellung weist dereinstige Medienprofi Schabowski zurück. Auch Journalist Ehrman pochtauf seinen Geschichtsanteil: Ein SED-Mann - ausgerechnet der Chef derstaatlichen Nachrichtenagentur Günther Pötschke - habe ihm damals denTipp für die Frage zur Reisefreiheit gegeben - die sei keinesfallsZufall gewesen.

Noch am 7. Oktober hatte die Führungsriege mit Erich Honecker ander Spitze ungerührt mit Militärparade und Fackelzug den 40. DDR-Jahrestag gefeiert. Der sowjetische Partei- und Staatschef MichailGorbatschow warnte den reformunwilligen Honecker sinngemäß: «Wer zuspät kommt, den bestraft das Leben.» Da hatten schon Zehntausende dieDDR verlassen, von Woche zu Woche wurden die Protestdemonstrationengrößer, die Forderungen nach Demokratie trotz Repressalien undFestnahmen immer lauter. Heute wirft der einstige SED-GeneralsekretärKrenz Gorbatschow Verrat vor, weil er den Weg zur Einheit mit freimachte.

Die Mitte Oktober 1989 nach dem Sturz Honeckers an die Machtgekommene Elite unter Krenz unterschätzte ihr Volk gründlich. VieleMenschen wollten sich mit den «Wende»-Ankündigungen der SED-Führungnicht mehr abspeisen lassen, glaubten nicht an Reformen. Mit derErlaubnis von Auslandsreisen sollte die DDR gerettet werden, sagteSchabowski später der dpa. Doch die DDR-Bürger übernahmen an jenem 9.November die Macht auf der Straße. Dass die überraschten Grenzpostennicht schossen und alles friedlich blieb, empfanden viele als Wunder.

Doch die Glücksmomente verschwanden bald hinter einem Problemberg,Ernüchterung machte sich breit. Der schnelle Weg zur Einheit mit derWährungsunion, das massenhafte Wegbrechen von Arbeitsplätzen, marodeInnenstädte und Straßen, verpestete Umwelt - die Aufgaben warengewaltig. Die von «Einheitskanzler» Helmut Kohl versprochenen«blühenden Landschaften» gebe es, jedoch nicht überall, sagteSaarlands Ministerpräsident Peter Müller (CDU) vor kurzem.Wirtschaftsforscher schätzen, erst in knapp 50 Jahren werde dieostdeutsche Wirtschaft auf Westniveau sein. Gewerkschafter beklagen,Ostdeutschland sei vornehmlich ein Absatzmarkt für westdeutscheProdukte geblieben, die Löhne seien niedriger als im Westen.

Und dennoch: Von der Mauer in den Köpfen rede niemand mehr, sagtder erste frei gewählte und zugleich letzte DDR-MinisterpräsidentLothar der Maizière. Die innere Einheit sei besser als angenommen.Nach einer Forsa-Umfrage wollen heute 16 Prozent der Westdeutschenund 10 Prozent der Ossis die Mauer zurück. Obwohl an vielen Stellendas Zusammenwachsen geklappt hat, sind Unterschiede noch sichtbar.

Gerade ältere Ostdeutsche fühlen ihre Lebensleistung nichtgenügend anerkannt. Sie waren zu alt, um nach der Einheit neudurchzustarten. Ungerecht finden sie auch, dass die DDR zunehmend aufdie Stasi reduziert werde. Und es verbittert, dass ganze Landstrichezu veröden drohen, denn viele junge Menschen suchen ihre Perspektivenim Westen. Die Arbeitslosigkeit ist 20 Jahre nach dem Mauerfall imOsten fast doppelt so hoch wie im Westen.

Westdeutsche hingegen finden, dass ihre Landsleute im Ostendankbarer sein sollten für die Aufbau-Milliarden. Es kursiert weiterdie falsche Annahme, nur Wessis zahlten den Solidaritätszuschlag. Füretliche Westdeutsche hat sich durch den Fall der Mauer nicht vielverändert in ihrem Leben, für die Ossis so gut wie alles. EtlicheDDR-Bürgerrechtler, die den Reformprozess '89 in der DDR erst in Ganggebracht hatten, zogen sich enttäuscht zurück. Nun gibt es mit demMauerfall-Jubiläum und einer Flut von Ausstellungen, Büchern undDiskussionen bundesweit die Chance, Geschichte neu zu erfahren.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) versucht ihren ostdeutschenLandsleuten Mut zu machen. Sie hätten im Herbst '89 mit ihrerSehnsucht nach Freiheit eine Kraft gezeigt, die heute Vorbild sei, umdie schwerste Wirtschaftskrise seit dem Krieg zu überwinden. Dieseproduktive Unruhe werde weiter gebraucht, sagt Merkel an die Adressealler Deutschen.

Vom Mauerbau 1961 bis zum Jahr vor der Grenzeröffnung 1988 sind über 600 000 Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen. (GRAFIK: DPA)
Vom Mauerbau 1961 bis zum Jahr vor der Grenzeröffnung 1988 sind über 600 000 Menschen aus der DDR in die Bundesrepublik gekommen. (GRAFIK: DPA)
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