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16. August 1988 16. August 1988: Berufsverbrecher geben während ihrer Tat Interviews

11.08.2008, 12:19
Der damals 32-jährige Bankräuber Dieter Degowski sitzt am 18. August 1988 in der Innenstadt von Köln auf der Rücksitzbank seines Fluchtwagens neben der 18-jährigen Geisel Silke Bischoff. Die 18-Jährige wurde später bei der Irrfahrt getötet. (Foto: ddp)
Der damals 32-jährige Bankräuber Dieter Degowski sitzt am 18. August 1988 in der Innenstadt von Köln auf der Rücksitzbank seines Fluchtwagens neben der 18-jährigen Geisel Silke Bischoff. Die 18-Jährige wurde später bei der Irrfahrt getötet. (Foto: ddp) ddp

Gladbeck/ddp. - Diese «Pressekonferenz» war grotesker Höhepunkt einer Straftat,die vor 20 Jahren Deutschland beschäftigt hat. Für 54 Stunden hieltendie Berufsverbrecher Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowski Polizeiund Öffentlichkeit in Atem, zwei Geiseln und ein Polizeibeamterverloren in dieser Zeit ihr Leben.

Alles begann am 16. August 1988 mit einem Überfall auf eineFiliale der Deutschen Bank im Gladbeck. Noch bevor Rösner undDegowski fliehen können, erreicht die Polizei den Tatort. Die Männerverschanzen sich mit zwei Bankangestellten, fordern Lösegeld sowieeinen Fluchtwagen - und geben einem Radiosender ein erstesLive-Interview.

Bei der anschließenden Irrfahrt durch Deutschland und dieNiederlande stehen die Täter immer wieder Journalisten Rede undAntwort, beobachtet von einer überforderten Polizei. Diese kann nichtverhindern, dass bereits kurz nach dem Banküberfall auch RösnersFreundin mit in den Fluchtwagen steigt.

Als Desaster erweist sich besonders die Situation in Bremen. Dortkönnen die Täter zunächst unbehelligt einen vollbesetzten Linienbuskapern und damit bis zu einer Autobahnraststätte fahren. Hier nehmenPolizisten eigenmächtig Rösners Freundin fest, als diese mit Geiselndie Toilette aufsuchen will.

Das von den Tätern gesetzte knappe Ultimatum für die Freilassungihrer Komplizin verstreicht, weil den Beamten der Schlüssel zu denHandschellen der Frau abbricht. Prompt schießt Degowski im Bus derfünfzehnjährigen Geisel Emanuele De Giorgi in den Kopf. Der Jungeverblutet, auch weil die Polizei versäumt hat, beizeiten einenRettungswagen zum Einsatzort zu beordern. Anschließend fahren dieTäter mit ihren Geiseln weiter. Bei der Verfolgung verunglückt einPolizist tödlich.

Später attestiert ein Untersuchungsausschuss der BremerPolizeiführung ein «hohes Maß an Inkompetenz». Innensenator BerndMeyer (SPD) übernimmt die Verantwortung und tritt zurück.

Bei der späteren, bizarren Inszenierung vor dem Kölner Pressehaushaben Rösner und Degowski längst ihre Rollen gefunden. «Tot sein istschöner als wie ohne Geld», diktiert der 31-jährige Rösner denReportern in die Blöcke. Und Degowski hält der 18-jährigen GeiselSilke Bischoff den Revolver unter das Kinn, damit die Fotografen undKamerateams ihre Bilder bekommen.

Wenige Stunden danach ist die junge Frau tot. Sie wird von Rösnerbeim chaotischen Zugriff der Polizei auf der A 3 bei Bad Honneferschossen, die zweite Geisel Ines V. wird verletzt. Erneut war es zueiner folgenschweren Panne gekommen. Das von Tätern in denNiederlanden erpresste Fluchtfahrzeug war von der dortigen Polizei sopräpariert worden, dass man es über Funk blockieren konnte.Allerdings hatte die deutsche Polizei die dafür erforderlicheFernbedienung vergessen.

Nach Gladbeck hat die Polizei Konsequenzen aus der Pannenserie unddem Kompetenzwirrwarr gezogen. Heute gilt die Maxime, beiGeiselnahmen unbedingt die Weiterfahrt der Täter zu unterbinden.Inzwischen wird bei spektakulären Fällen die Einsatzleitunggebündelt, und länderübergreifende Einsätze werden besserkoordiniert.

Auch die Medien übten sich in Selbstkritik angesichts derInszenierung, die das US-Nachrichtenmagazin «Newsweek» «The Hans andDieter Show» nannte. So sagte der damalige Chefredakteur desSüddeutschen Rundfunks, Ernst Elitz: «Wenn Interviews mitGeiselnehmern und Mördern, mit Geiseln, die die Pistole am Kopfhaben, im Fernsehen gezeigt werden, dann halte ich das für eineeklatante journalistische Fehlentscheidung.»

Der Deutsche Presserat sah das ähnlich. Wenige Wochen nachGladbeck stellte das Gremium fest, dass es «Interviews mitGeiselnehmern während des Geschehens nicht geben darf». Allerdingsbetonten einige Journalisten, dass sie in Gesprächen die Freilassungmehrerer Geiseln erreicht haben.

Bis heute verbüßen Hans-Jürgen Rösner und Dieter Degowskilebenslange Freiheitsstrafen. Sie werden voraussichtlich bis 2013beziehungsweise 2016 in Haft sein.

Ablauf des Geiseldramas von Gladbeck (Grafik: dpa)
Ablauf des Geiseldramas von Gladbeck (Grafik: dpa)
dpa