Er diente den DDR-Landwirten Pionier-Traktor aus Zwickau: Als bei Horch der erste Trekker vom Band rollte

Zwickau - Fast schon liebevoll streicht Steffen Wagner über den Kühler des dunkelgrünen Traktors. „Das Tuckern eines Traktormotors verursacht mir Gänsehaut wie bei anderen ein Porsche oder Ferrari“, meint der Vereinschef der Bulldog- und Schlepperfreunde Zwickau-Auerbach.
Über den 70 Jahre alten Ackerschlepper gerät er ins Schwärmen: Der kantige „Pionier“ ist der einzige Traktor, der jemals in Zwickau gebaut wurde. Am 21. Mai 1949 rollten die ersten dieser schweren Landmaschinen mit 3.300 Kilogramm Leergewicht aus der improvisierten Taktstraße - dort waren vor Kriegsbeginn unter dem Namen des Autopioniers August Horch noch elegante Oberklasse-Wagen gebaut worden.
Horch gründete 1904 sein Unternehmen in Zwickau
Es sei ein Glücksfall gewesen, dass in der Automobilstadt Zwickau, in der Horch 1904 sein Unternehmen gründete, aus dem später Audi hervorging, überhaupt Traktoren gebaut wurden, erzählt Wagner. Weil die Zwickauer bereits vor dem Zweiten Weltkrieg eine Lizenz der Fahrzeug- und Motorenwerke (FAMO) in Breslau für einen Traktor erworben hatten, habe man die Serienproduktion vergleichsweise schnell aufnehmen können. „Das Werk stand unter Reparation, man brauchte dringend Arbeit, um die Leute beschäftigen zu können.“
Unter den „Horch-Werkern“ selbst habe sich die Begeisterung anfangs zwar in Grenzen gehalten, statt edler Limousinen nun eine grobe Landmaschine zusammenzuschrauben. „Dabei tut man dem Traktor aber unrecht. Einen solchen Motor zu bauen, ist hohe Ingenieurskunst“, meint der gelernte Landmaschinenschlosser.
Überstunden in Zwickau für Reparationsleistungen nach dem Krieg
„Um Devisen zu erwirtschaften, musste man Güter herstellen, die wirtschaftlich waren und gebraucht wurden“, sagt Jürgen Pönisch, Horch-Biograf und Mitglied im Förderverein des Zwickauer August-Horch-Museums, in dessen Dauerausstellung ein „Pionier“ Baujahr 1953 steht. Mit dem Automobilbau allein wäre man völlig ins Hintertreffen geraten, so seine Einschätzung.
Zur Not also Traktoren. Zunächst gab es jedoch Anlaufschwierigkeiten, weil das Material infolge der Reparationsleistungen knapp war. Mit Befehl Nummer 133 des Oberkommandierenden der Besatzungsmacht vom 8. August 1948 änderte sich das: Bereits im Jahr 1949 sollten 500 Stück geliefert werden und „1950 der Ausstoss an Traktoren auf 4.000 Stück im Jahre heraufgedrückt werden“, wie aus Unterlagen im Sächsischen Staatsarchiv hervorgeht.
Nach einem Beschluss des Politbüros musste es dann ganz schnell gehen, wie ein Aktenvermerk vom 7. Mai 1949 zeigt. Eigentlich war die Überarbeitung des FAMO-Traktors für Ende Juni vorgesehen. Dann aber wurde der Produktionsanlauf vorverlegt. Also wurden Überstunden geschoben.
In den Monaten Februar bis April habe sich die gesamte Abteilung „restlos“ dafür eingesetzt, schreiben die Konstrukteure. „Vom Abteilungsleiter bis zum Lehrling gab es niemanden, der sich nicht des Ernstes der Aufgabe bewusst gewesen wäre.“
Ende 1950 wurde Produktion nach Nordhausen in Thüringen verlagert
Bis Jahresende 1949 wurden demnach 350 Traktoren unter der Marke IFA (kurz für Industrieverband Fahrzeugbau) gebaut, in die das Horch-Werk eingegliedert worden war. In rund eineinhalb Jahren Zwickauer Produktion waren es 2605 Landmaschinen, wie Pönisch recherchiert hat. Ende 1950 habe man die Fertigung nach Nordhausen in Thüringen verlagert, weil in Zwickau Kapazitäten für den ersten eigenständig entwickelten DDR-Lkw benötigt wurden.
Vom „Pionier“, dessen Name für den Neuanfang nach dem Krieg steht, wurden bis 1956 rund 20.000 Stück gebaut. Der Radschlepper gilt Wagner zufolge als wichtigste Maschine in der Landwirtschaft der frühen DDR. Nach Schätzung der Zwickauer Traktorenfans dürften bundesweit noch etwa 1.000 „Pioniere“ vorhanden sein. Vor allem durch Vereine werde die alte Technik gehegt und gepflegt und bei Traktorentreffen regelmäßig hervorgeholt. Allein in Sachsen gibt es demnach rund 100 solche Veranstaltungen.
Dabei stelle sich immer wieder die spannende Frage, wie die alte Technik zum Laufen gebracht werden könne. Und dafür interessieren sich längst nicht nur Männer. Bei den Bulldog-Schlepperfreunden herrscht Parität, sagt Wagner. Und der Nachwuchs steht schon parat: Mit 15 Jahren ist Dana Tittel derzeit das jüngste Vereinsmitglied. „Die Technik interessiert mich einfach, der typische Mädchenkram dafür nicht.“ (dpa, Claudia Drescher und Sebastian Willnow)