Nord Stream Nord Stream: Geschäft statt «Gaskrieg»
Lubmin/MZ. - Diesmal jedoch dürfte der große Bahnhof zumindest den Strategen im Hintergrund eher unangenehm sein. Denn wenn Merkel und Medwedew den ersten Röhrenstrang der 1 224 Kilometer langen Ostseepipeline in Betrieb nehmen, dann versinnbildlicht dies in den Augen der Kritiker vor allem eines: Deutsche und Russen öffnen gemeinsam den Gashahn, um anderen im Zweifelsfall die Energie abdrehen zu können.
Der Sinn des Pipelinebaus in den Tiefen des Meeres lag von Anfang an offen zutage. Der russische Energieriese Gasprom als Lieferant und die Versorger in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern wollte sich unabhängiger machen von Transitländern wie Weißrussland, Polen und vor allem der Ukraine. Kiew war bis heute Herr über 80 Prozent des Gasflusses zwischen West und Ost. Dieses Quasi-Monopol gab den Ukrainern eine Marktmacht an die Hand, die sie auf dem Höhepunkt der "Gaskriege" mit Russland im Winter 2009 auch ausnutzten. Als Gasprom sich weigerte, die Ukraine mit Billigenergie zu beliefern, zapfte Kiew kurzerhand die Transitpipelines an.
Dieser Mechanismus greift künftig nicht mehr. Durch die Ostseepipeline strömen von Dienstag an 27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas pro Jahr aus dem Norden Russlands nach Deutschland. Über die Anlandestation Lubmin wird es auf das kontinentale Pipelinesystem verteilt, das bis nach Großbritannien reicht. Wenn in rund einem Jahr wie geplant auch der zweite Röhrenstrang fertiggestellt sein sollte, wird Gasprom über die Meeresröhren den Bedarf von 26 Millionen Haushalten in Westeuropa decken.
Holländer und Franzosen sind früh auf den deutsch-russischen Pipeline-Zug aufgesprungen. Die niederländische Gasuni und die Pariser GDF-Suez-Gruppe sind mit je neun Prozent an Nord Stream beteiligt. Ausgebootet fühlen sich dagegen einige EU-Mitgliedsländer im östlichen Europa. Vor allem Polen wirft Deutschland vor, die Energiesolidarität in der EU zu untergraben. Inzwischen hat sich die größte Aufregung in Warschau allerdings gelegt. Die Regierung hat ein Energiekonzept beschlossen, das unter anderem den Bau zweier Atomkraftwerke vorsieht. Auf diese Weise will sich Polen von russischen Erdgaslieferungen unabhängiger machen.
7,4 Milliarden Euro verschlingt der Bau der Ostseepipeline. Die enorme Investitionssumme verdeutlicht, dass Russen und Westeuropäer in Lubmin nicht nur am Gashahn, sondern auch am großen strategischen Rad drehen. Ausgangspunkt aller Überlegungen war der Neustart bei Gasprom nach dem Amtsantritt des damaligen russischen Präsidenten Wladimir Putin. Der Kremlchef machte den Öl- und Gasriesen zum hoch profitablen Kern eines staatlich gelenkten Energieimperiums. Seither betreibt Putin mit dem Gasgeschäft zugleich Politik.
So hob Gasprom nach der demokratischen orangenen Revolution in der Ukraine 2004 die Preise für Energielieferungen in das Nachbarland deutlich an. Kiew konnte oder wollte die geforderten Summen nicht zahlen, und so waren die späteren "Gaskriege" programmiert. Fast zeitgleich überzeugte Putin den damaligen Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) vom Sinn des Pipeline-Projektes in der Ostsee. Einmal beschlossen, konnten weder Proteste von Umweltschützern noch der Widerstand in Polen die Röhrenbauer stoppen.