Milch-Lieferboykott weitet sich aus
Berlin/Hamburg/dpa. - Die Zahl der protestierenden Milchbauern wächst, doch in den Kühlregalen zeigte der Lieferboykott am Mittwoch noch keine Auswirkungen.
«Wir gehen davon aus, auch in den kommenden Tagen die Versorgung flächendeckend sicherstellen zu können», sagte Edeka-Sprecher Alexander Lüders am Mittwoch in Hamburg. Die Molkereien könnten ihre Lieferverträge derzeit alle noch einhalten. Dabei beteiligten sich in einigen Regionen nach Angaben der Milchindustrie bis zu 60 Prozent der Milchproduzenten an dem Boykott. Während ausländische Kollegen, Politiker und Verbände den Milchbauern ihre Solidarität erklärten, kam vom der privaten Milchwirtschaft und dem OECD-Agrardirektor deutliche Kritik.
Am zweiten Tag des Protests schlossen sich nach Verbandsangaben weitere Bauern dem Boykott an. In der Folge sei bundesweit mehr als die Hälfte der üblichen Menge nicht angeliefert worden, teilte der Bundesverband Deutscher Milchviehhalter (BDM) mit.
Der Lieferstopp werde sich bereits in den nächsten Tagen auf das Angebot in den Geschäften auswirken, sagte der BDM-Vorsitzende Romuald Schaber. Zur Durchsetzung ihrer Position drohten die Milchviehhalter langfristige Liefer-Aussetzungen an: Künftig müsse es mit den Molkereien jedes Jahr Verhandlungen über einen neuen Basispreis geben, sagte Schaber. Solange ein solcher Systemwechsel nicht schriftlich fixiert sei, werde keine Milch mehr geliefert.
Nach Verbandsangaben gibt es mittlerweile keine nennenswerten regionalen Unterschiede mehr bei den Protesten. Der Milchindustrieverband beobachtete jedoch auch am späten Mittwochnachmittag noch ein deutliches Nord-Süd-Gefälle. Während im Norden fast die übliche Menge angeliefert werde, sei es in Südbayern bis zu 60 Prozent weniger als sonst, erläuterte Verbands-Sprecher Michael Brandl. Im bundesweiten Schnitt erreichten die Molkereien jedoch nicht 50, sondern nur etwa 20 Prozent weniger Milch.
Versorgungsengpässe sind laut Brandl dennoch nicht zu befürchten: «Wir haben derzeit genügend Milch auf dem Markt, wir müssen nur den regionalen Ausgleich schaffen.» Auch die großen Handelsketten REWE und Edeka berichteten von keinerlei Problemen. «Es gibt keine Notwendigkeit, Hamsterkäufe zu machen», unterstrich der Einkaufschef der REWE, Vorstand Manfred Esser. Die Verbraucher fänden derzeit mit Sicherheit volle Regale vor. Dies gelte trotz verstärkter Nachfrage an einzelnen Orten auch für Deutschlands größten Lebensmitteleinzelhändler, sagte Edeka-Sprecher Lüders.
Kritik ernteten die Bauern von OECD-Agrardirektor Stefan Tangermann. «Es ist zu keinem Zeitpunkt akzeptabel, Nahrungsmittel zu vernichten», sagte Tangermann der Deutschen Presse-Agentur dpa in Paris. «In die heutige Zeit aber passt es besonders wenig - in einer Situation der Knappheit.» Er griff auch Bundesagrarminister Horst Seehofer (CSU) an. «Es ist mitnichten so, dass sämtliche Milchproduzenten zu den heutigen Preisen nicht überleben können und deshalb übermorgen bei uns die Produktion wegbricht», sagte Tangermann. «Wenn man dann als verantwortlicher Agrar-Politiker noch so tut, als sei die Katastrophe nahe und man könne ihr entgehen, wenn man Milch vernichtet, dann halte ich das für nicht hilfreich.»
Der Direktor für Agrar und Handel bei der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) glaubt nicht an einen Erfolg des Boykotts. Auch der Verband der privaten Milchwirtschaft erwartet nicht, dass die Milchbauern durch den Lieferstopp höhere Erzeugerpreise erzwingen können. «Die Verträge zwischen den Molkereien und dem Handel sind für die nächsten sechs Monate abgeschlossen und lassen sich nicht mehr aufbrechen», sagte Geschäftsführerin Susanne Nüssel. «Die Molkereien haben Verständnis für die Bauern, ein Boykott ist aber das falsche Mittel.» Der geforderte Milchpreis von 43 Cent pro Liter sei nicht marktgerecht.
Solidaritätsbekundungen erhielten die Bauern nach Angaben des BDM hingegen von Kollegen aus anderen EU-Ländern. So hätten die Milchbauernverbände mehrerer Nachbarstaaten ihre Unterstützung zugesagt. Nach Angaben des Milchindustrieverbands kann jedoch von einer flächendeckenden Aktivität keine Rede sein. Allerdings rief der dänische Verband der Milchproduzenten zu einer Solidaritätsaktion auf. Es liege im gemeinsamen Interesse, die Preise wieder in die Höhe zu bringen, sagte Verbandschef Peder Mouritzen in der Zeitung «Jyllands-Posten». Als Möglichkeit nannte er einen dänischen Exportstopp für Deutschland.
Unterdessen streiten Politiker um eine mögliche Lösung der Milchkrise. Seehofer lehnte die von der FDP geforderten Finanzhilfen für Bauern ab. Die Liberalen hatten vorgeschlagen, die Öko-Steuer und die Steuer auf Agrardiesel für Traktoren zu senken. Seehofer betonte, stattdessen müssten Rahmenbedingungen geschaffen werden, die gezielt das Überleben der Milchbauern sicherten. Zugleich kritisierte er die von der EU-Kommission geplante Anhebung der Milchquote, da dies weiteren Druck auf die Preise ausüben würde. Die CSU brachte zur Unterstützung der Milchbauern einen Dringlichkeitsantrag im bayerischen Landtag ein. Die Bauern brauchten einen fairen Preis, mit dem sie ihre Kosten decken könnten.
Seit Dienstag machen Bauern ihrer Wut über zu niedrige Milchpreise mit einem Lieferboykott Luft. Sie bekommen derzeit je nach Region zwischen 27 und 35 Cent je Liter Milch, fordern aber mindestens 40 Cent.