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Mauerfall Mauerfall: Frei von Routine

Von Christian Eger 08.11.2009, 16:22

HALLE/MZ. - Warum? Die Mauer, das war die DDR, denn ohnedie Mauer hätte es die DDR auf Dauer nichtgegeben. Mit der Mauer verschwand der Staat.Aber die Menschen sind noch da und der Lebensgrund,den die DDR geschaffen hatte und der fortwirktin geistiger, gesellschaftlicher und materiellerHinsicht. Wo ein Ostler heute in welcher Positiontätig ist, auch das hat Ursachen, die in dieDDR zurückführen. Wer zu den Randständigengehörte, der steht auch heute sehr oft amRand; Ausnahmen bestätigen da nur die Regel.Die DDR-Eliten aber lebten nicht in der DDR,denn sie hatten Reisepässe. Das muss man wissen,wenn man heute den Klageliedern der altenSpitzen lauscht.

So bleibt die Diskussion um die DDR eine Geschichtsschreibungam lebendigen Menschen - und ein Gesprächüber die lebendige Gegenwart. Es geht um Genauigkeitbei den gesellschaftlichen Befunden vor undnach 1989, um Fakten und Akten. Schwerer alsSentimentalitäten abzuladen, ist es, heuteöffentlich mit Tatsachen durchzudringen. Dasbraucht Ausdauer. Und Klarheit. Übrigens auchim Alltag. Deshalb aus gegebenem Anlass einpaar Hilfsmittel aus der Nachwende-Apotheke.Da wäre der Ostler-Slogan: Es war nicht allesschlecht. Die Schulbildung sei prima, dieKinderbetreuung bestens gewesen. Ertragreicheraber als die Frage, was denn "gut" oder "schlecht"war in der DDR, wäre die Frage: Wie frei waretwas - oder nicht?

Da ist der Westler, der sich gegenüber demOstler mit Urteilen zurückhalten will: Erwisse ja nicht, wie er sich verhalten hättein der DDR. Ein Selbsttest wäre: Wie verhältman sich heute gegenüber gesetzten Autoritäten,gegenüber seinem Chef? Schon ahnt der Westler,wer er gewesen wäre in der DDR.

Da ist der Ostler, der sagt, er hätte sichso oder so verhalten müssen, weil er aus diesemoder jenem Milieu stammte. Aber schon jedesKind weiß, was ein Verrat ist oder eine Lüge.

Dass die Mauer fiel, hatte viele Gründe: außen-und innenpolitische. Das falsche DDR-Wir löstesich auf. Aber wohin? Wolf Biermann sagtedieser Tage in Halle, dass 1989 eine Revolutionohne Revolutionäre gewesen sei, also ohneein allgemein kenntliches Wollen, was mehrist, als etwas nicht mehr zu wollen. Da stellesich die Frage, ob das auf eine Demokratieohne Demokraten zulaufen könnte? Keine Fragevon ungefähr.

Will man also eine teilhabend gestaltete odereine unter Ausschluss verwaltete Gesellschaft,will man den Einsatz oder den Mehltau derRoutine? Will man letzteres, soll man aufhörenvon Freiheit zu reden. Freiheit ist etwas,was man sich nimmt, was erstritten werdenmuss. Erst dann ist Freiheit spürbar. Erstdann bringt sie Gewinn. Für das Glück, dasder Willen zur Freiheit schaffen kann, stehtdas einmalige Erlebnis des Tages vor 20 Jahren.

Kontakt zum Autor:Christian Eger