Marzipan Marzipan: Süße Versuchung aus dem Harem
Halle/MZ. - Als Grundregel gilt: je weniger vom Zucker und je mehr von der teuren Mandel im Teig, umso feiner das Marzipan. Dessen Färbung bringt es an den Tag, ob ein Edel-Confiseur oder ein Billig-Mischer am Werk war. Gelblich satt mandelig soll es sein und nicht weiß zuckrig. Fifty-fifty gilt rein nach dem Lebensmittelgesetz als okay, für echtes "Lübecker" dürfen dagegen nur 30 Teile Zucker auf 70 Teile Rohmasse kommen, nur 10 zu 90 wenn es gar "Edelmarzipan" sein soll. Das Königsberger wird noch leicht bräunlich geflämmt.
So einfach? Nicht doch. Natürlich hütet jeder Produzent sein süßes Geheimnis. Der Platzhirsch unter den deutschen Herstellern etwa mengt noch "so etwas ähnliches wie Rosenwasser" bei. Und nimmt außerdem lieber etwas mehr als zuwenig Mandeln. Das ist aber auch schon alles, was aus dem Lübecker Hause mit dem bekannten rot-weiß-goldenen Firmenzeichen verlautet.
Ganz dicke Geheimnisse liegen bis heute auch über der süßen Masse, die zu späteren DDR-Zeiten als Marzipanersatz zusammengemengt wurde. Die fortschreitenden Erfolgsmeldungen verhielten sich bekanntlich reziprok zu den Importen. Und die unter südlicher Sonne gedeihenden Mandeln gehörten nun mal dazu. Was prompt den realsozialistischen Erfindungsgeist auf den Plan rief.
Bei aller Erfindungskunst - ein rechtes "Haremskonfekt", wie Thomas Mann das berühmte Produkt seiner Heimatstadt nannte, mag aus den Notmischungen wohl kaum zu formen gewesen sein. Womit das Stichwort für den wahrscheinlichen Ursprung gefallen ist. Harem wie Orient. Da waren schließlich die Bestandteile zuhause. Das scheint logisch wie die Theorie, daß die orientalische Köstlichkeit über die Osmanenherrschaft nach Spanien und durch die Kreuzzüge via Venedig in den Norden Europas gedrungen sei. Tatsache ist, daß die delikate Mandel-Zucker-Mischung nachweisbar schon 1000 nach Christi als Krönung der Tafelfreuden bei den Kalifen aufgetragen wurde.
Hartnäckig halten sich daneben Legenden. Wie die von der Hungersnot, die Lübeck 1407 heimgesucht haben soll. Als kein Korn mehr da war, soll der Senat den Bäckern befohlen haben, ihre Mandelvorräte zu Brot zu machen. Markusbrot, Marci panis auf gut Latein. Ähnliche Geschichten gibt es - wen wundert`s - aus anderen Städten, in denen Marzipan hergestellt wurde, von Venedig bis Königsberg.
Wußte man sich schon im 13. Jahrhundert in Klöstern die Fastenzeit mit "Vastelmus" - aus Zucker und Mandeln - zu versüßen, gab es Marzipan in Deutschland bis ins 18. Jahrhundert auf Rezept. Erstens, weil die Apotheker für Gewürz- und Zuckerwarenverkauf zuständig waren und gewinnbedacht streng über dieses Privileg wachten. Und zweitens wurde die stärkende Kalorienbombe tatsächlich als Heilmittel verschrieben und als "Kraftbrot" mit zerstoßenen Perlen oder Heilkräutern versetzt.
Als dann die Zuckerbäcker die schmiegsame, biegsame Masse in die Finger bekamen, ließen sie ihrer Phantasie freien Lauf und modellierten, was das Zeug hielt. Obst, Fische, Tiere, Statuen, ganze Szenerien - alles kein Problem. Und alles süß und eßbar. Es lebe die Täuschung! Der russische Zar bestellte sich jedes Jahr ein Dutzend Gänse aus der süßen Masse, in Lebensgröße. Die wurden dann - "Überraschung!" - an die leicht verwirrten Hofbeamten verschenkt.