Lidl wegen Bespitzelungsvorwürfen im Visier von Datenschützern
Neckarsulm/Stuttgart/dpa. - Der Lebensmitteldiscounter Lidl ist wegen des Vorwurfs der Mitarbeiterbespitzelung ins Visier von Datenschützern gerückt.
Es werde datenschutzrechtlich geprüft, ob die Beschäftigten in zahlreichen Filialen systematisch überwacht wurden, sagte eine Sprecherin des baden-württembergischen Innenministeriums.
Lidl wies den Generalverdacht zurück. Das Mitglied der Geschäftsführung, Jürgen Kisseberth, räumte jedoch ein, dass in einzelnen Filialen möglicherweise Bespitzelungsaufträge erteilt worden seien.
Nach Informationen des Magazins «stern» wurde bei dem Lebensmitteldiscounter über zahlreiche Überwachungskameras registriert, wann und wie häufig Lidl-Mitarbeiter auf die Toilette gehen, wer mit wem möglicherweise ein Liebesverhältnis hat und wer nach Ansicht der Überwacher unfähig ist oder einfach nur «introvertiert und naiv wirkt». Aufgeführt wurde laut «stern» unter anderem auch, ob Mitarbeiter des Neckarsulmer Unternehmens tätowiert waren. Das Magazin beruft sich auf interne Lidl-Protokolle.
«Ich kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausschließen, dass es dazu Aufträge gegeben hat», sagt Kisseberth der dpa. «Das war aber nicht der Auftrag der Geschäftsleitung.» Die zwei von Lidl beauftragten Detekteien hätten die Weisung gehabt, über Kameraanlagen vor allem Diebstähle von Kunden aufzudecken. Auslöser seien die hohen Inventurverluste im Vorjahr von acht Prozent der deutschen Filialen gewesen.
Erst wenn alle Aufträge im Bundesgebiet geprüft worden seien, könnten alle Verdachtsmomente vollständig ausgeschlossen werden, betonte Kisseberth. Ihm lägen aber entsprechende Protokolle vor. Ob die Initiative dazu von den Detektiven oder Filialleitern ausgegangen sei, könne er nicht sagen.
Lidl habe die Zusammenarbeit mit einer Detekteien mittlerweile beendet und werde künftig nur noch mit sichtbar angebrachten Kamerasystemen in den Läden arbeiten. Laut «stern» sollen die meisten Überwachungsberichte aus Lidl-Filialen in Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Berlin und Schleswig-Holstein kommen.
Die Datenschützer für den nicht-öffentlichen Bereich in Baden- Württemberg werden nach Angaben des Innenministerium den Fall unter die Lupe nehmen. «Der Sachverhalt muss aufgeklärt werden», betonte die Ministeriumssprecherin. Nach Einschätzung einer Sprecherin des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit sind verdeckte Videoüberwachungen von Mitarbeitern kein Einzelfall.
Dies sei aber nur als letzte Möglichkeit und über einen kurzen Zeitraum gerechtfertigt, wenn sich der Arbeitgeber beispielsweise gegen Diebstahl schützen wolle. In der Regel sei dieses Vorgehen aber ein Verstoß gegen das Datenschutzgesetz.
Die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di sprach von einem Skandal und dem Verstoß gegen das Grundgesetz. Wenn die Vorwürfe stimmten, «dann passt das in das System der permanenten Kontrolle und Unterdrückung in dem Unternehmen», erklärte der Handelsexperte der Gewerkschaft in Baden-Württemberg, Bernhard Franke der dpa. Sein Kollege Achim Neumann sagte dem Audiodienst der Deutschen Presse- Agentur: «Was hier mit der Würde von Menschen passiert, ist der Skandal schlechthin.»
Die Gewerkschafter forderte die Mitarbeiter auf, gegen die Zustände vorzugehen und Betriebsräte zu wählen. «Die Mitarbeiter werden eingeschüchtert und verängstigt. Es gibt so gut wie keine Betriebsräte bei Lidl», sagte Franke.