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Lernen in der Sangerhäuser Natur

Von Beate Thomashausen 11.01.2013, 16:41

sangerhausen/MZ. - Es ist ziemlich kalt am "Jugendwaldheim Wildenstall" bei Grillenberg (Landkreis Mansfeld-Südharz). Die Jungen und das Mädchen, die eifrig Reisig auf einen Haufen schleppen und große Holzstücke auf Schubkarren verladen, merken nichts von der Kälte. Ihre Gesichter sind rot vom Eifer. "Das macht Spaß hier im Wald", sagt Julien. Der Achtjährige geht in die dritte Klasse. Er ist Schüler der CJD Christophorusschule - staatlich anerkannte Förderschule mit Ausgleichsklassen. Ein bandwurmlanger Name, der aussagt, dass dort, in der Schule im Christlichen Jugenddorf (CJD) in Sangerhausen, Mädchen und Jungen unterrichtet werden, deren Verhalten auffällig ist oder die einen Förderbedarf haben. Im Bereich Sprache oder der körperlichen und motorischen Entwicklung. Kurz: Dort lernen Kinder, mit denen es nicht immer so ganz einfach ist, die aber - ähnlich dem Motto vom Verein "Wir helfen" - dabei sein sollen wie andere Altersgefährten auch.

"Auch diese Kinder sollen Freude am Lernen haben", sagt Schulleiterin Susann Manthey. "Wir fördern die Kinder nach der Methode der Kompensationspädagogik: Das heißt, in unsere Arbeit fließen Erkenntnisse der Verhaltensbiologie, der Gemeinschaftserziehung, der Erlebnispädagogik und der Berufsfrühorientierung ein."

"Unsere Kinder brauchen schon eine große Portion Aufmerksamkeit extra", sagt Heike Broda. Gemeinsam mit ihrem Kollegen Ralf Damian betreut sie die Schüler aus der dritten, vierten und fünften Klasse, die der "Ökologischen Werkstatt" angehören. Genauso wie vier große Schüler aus der Förderschule G, der staatlich anerkannten Förderschule für geistige Entwicklung. Auch sie arbeitet unterm Dach des CJD Sangerhausen.

Die Handicaps der Kinder fallen hier bei der gemeinsamen Arbeit und beim Toben in der Natur weder auf noch ins Gewicht. "Das genau ist es ja, was man mit der bereits viel zitierten Inklusion erreichen möchte - Menschen mit und ohne Handicap gehen ganz selbstverständlich miteinander um. Es geht um Akzeptanz ebenso wie darum, Schwellenängste auf beiden Seiten abzubauen", sagt Jugenddorfleiter Wilhelm Grangé. Die Ökologische Werkstatt sei da einmalig. "Unsere Schüler unterschiedlicher Schulformen arbeiten gemeinsam, sammeln ganzheitliche Erfahrungen in der Stille und der Natur. Erfahrungen, die ihnen aus den unterschiedlichsten Gründen ihre Familien nicht bieten", ergänzt Schulleiterin Manthey.

Den achtjährigen Zwillingen Almir und Admir ist es ganz egal, ob ihr Projekt irgendetwas Besonderes ist. Für die Jungen ist es einfach ganz toll, im Wald herumzutoben. "Wir haben aber auch schon andere Sachen gemacht", sagt Almir. Holz stapeln zum Beispiel. Auch gesägt habe er schon und das Fußballtor auf dem Schulgelände repariert. "So was machen wir in der Werkstatt", erzählt Zwillingsbruder Admir, bevor er wieder interessiert Vorarbeiter Frank Ballin zuschaut, wie dieser Bäume und Sträucher entastet. Der Waldpädagoge wird nicht müde, den Kindern zu erklären, was genau sie hier zu tun haben: Wegeaufhieb. "Das bedeutet, wir müssen den Weg zum Jugendwaldheim befahrbar halten."

Wenn ihnen von einem richtigen Förster so eine wichtige Arbeit aufgetragen wird, dann schleppen die Kinder natürlich unermüdlich dicke Äste und dünnere Zweige auf einen Haufen. Der wird irgendwann verrotten und bietet jetzt kleinen Tieren Schutz und Lebensraum. "So aufmerksam wie hier im Wald lernen unsere Schüler sonst kaum woanders", sagt Heike Broda. Aber auch an den Werkstatttagen in der Schule in Sangerhausen lernen die Mädchen und Jungen vor allem dadurch, dass sie etwas selbst tun.

"Es gibt vieles, was Kinder nicht mehr in ihren Familien lernen, was ihnen dort einfach nicht mehr angeboten wird", sagt Schulleiterin Manthey. Sie und ihr Team haben noch viele Pläne. "Ein Grünes Klassenzimmer wäre toll, in dem experimentiert werden kann und wo die Kinder einfach mal zur Ruhe kommen." Auch eine gute Kamera, um Naturbeobachtungen festzuhalten, und Mikroskope gehören zu den Wünschen. Oder ein größerer Schulgarten. "An Ideen fehlt es uns nicht, wie wir unseren Kindern Erfahrungen außerhalb ihres Schul- und Lebensalltags vermitteln könnten", sagt Susann Manthey. Allerdings fehle für vieles das Geld.