Leo Kirch Leo Kirch: «Ich kann verstehen»
MÜNCHEN/MZ. - Im Februar musste er noch krankheitsbedingt passen. Diesmal kommt Leo Kirch. Der 84-jährige Pleitier wird als Zeuge erwartet. Saal 411 des Oberlandesgerichts München ist mit gut 100 Personen bis auf den letzten Platz gefüllt. Es ist kurz vor 10 Uhr, als der schwer Zuckerkranke, der seit neun Jahren mit der Deutschen Bank und dessen Ex-Chef Rolf Breuer um Schadenersatz in Milliardenhöhe prozessiert, erscheint. Kirch sitzt im Rollstuhl. Er ist fast blind. Seine Stimmbänder sind kaputt. Die 74-jährige Gertrude Barrera-Vidal begleitet ihn. Sie stellt sich später als "Vorleserin" vor und ist Kirchs Sprachrohr. Das Schauspiel kann beginnen.
Man ist als Beobachter geneigt, Kirch als körperlich kranken aber geistig regen Mann zu sehen. Dann spricht er seinen ersten Satz ins Mikrophon. Es ist ein Krächzen und Flüstern wie aus der Gruft. Kirchs ruinierte Stimmbänder bellen Wort für Wort. "Ich kann verstehen", sagt er mühsam und signalisiert damit, der Verhandlung folgen zu können. Kläger sind ehemalige Kirch-Firmen, die Reste seines untergegangenen Imperiums. Rein rechtlich hat der Pleitier mit ihnen nichts mehr zu tun. "Bin nicht beteiligt, bin insolvent", kommt aus dem Mund des Zeugen. Seine anschließende Erklärung ist zu viel für ihn. Die Vorleserin kommt zum Einsatz.
Im Prozess geht es um zweierlei. Die Kläger wollen nachweisen, dass die Deutsche Bank nicht nur mit Kirchs Beteiligungs-GmbH einen Vertrag hatte sondern mit der gesamten Kirch-Gruppe ein vertragsähnliches und damit haftungsrelevantes Verhältnis unterhielt. Denn Breuer hatte 2002 öffentlich die Kreditwürdigkeit des Konzerns in Frage gestellt und damit nach Lesart der Kläger dessen Untergang besiegelt. Lässt sich auch dieser zweite entscheidende Punkt nachweisen, müsste die Deutsche Bank nicht nur für die Schäden der Beteiligungsfirma haften, die Anteile des Springer-Konzerns verwaltete, sondern für die gesamte Kirch-Pleite. 3,6 Milliarden Euro Schadenersatz werden gefordert.
Barrera-Vidal liest Kirchs Erinnerungen an zwei Treffen mit Breuer im März und November 2001 vor, wenige Monate vor dem Kollaps der Kirch-Gruppe. Nie habe die Deutsche Bank mit Leo Kirch groß ins Geschäft kommen wollen, referiert die Vorleserin. 2001 habe Breuer dann einen radikalen Sinneswandel vollzogen und den Branchenprimus als Hausbank angeboten, dabei die totale Offenlegung der internen Verhältnisse der Kirch-Gruppe gefordert und Unterlagen verlangt. "So besprochen, so getan", schließt Barrera-Vidal.
Was sie vorgetragen hat, umschreibt ein vertragsähnliches Verhältnis. Wenn Kirchs Erklärung vor Gericht besteht, hat die Deutsche Bank fraglos ein ernstes Problem. Jetzt beginnt der für Kirch schwierige Teil. Das Gericht fragt. Er muss selbst und spontan antworten. Schon in der ersten Reihe glaubt fast jeder Zuhörer andere Worte aus Kirchs Mund zu hören, so unverständlich ist sein heiseres Flüstern. Nach eineinhalb Stunden unterbricht Kirchs Hausarzt. Sein Patient sei jetzt vernehmungsunfähig. Das Gericht beschließt, den 84-Jährigen an einem anderen Tag weiter zu befragen. Gesünder wird er dann kaum sein. Kämpfen wird er weiter.