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Lehman-Geschädigter bekommt Schadenersatz

23.06.2009, 14:19

Hamburg/dpa. - Mit Applaus wurde das Urteil im Gerichtssaal aufgenommen, der Kläger allerdings freute sich still: Einem 64 Jahre alten Käufer von Zertifikaten der insolventen US-Investmentbank Lehman Brothers hat das Hamburger Landgericht 10 000 Euro Schadenersatz zugesprochen.

Damit stärkte das Gericht bundesweit die Hoffnungen geschädigter Anleger. Die Hamburger Sparkasse (Haspa) habe den Kläger Bernd Krupsky beim Verkauf von Lehman-Anleihen in der entsprechenden Höhe im Dezember 2006 falsch beraten, sagte der Vorsitzende Richter Martin Tonner am Dienstag zur Begründung seines mit Spannung erwarteten Urteils. Die Bank habe es versäumt, den Anleger über «alle das Produkt betreffenden, wesentlichen Umstände» aufzuklären.

Vor allem auf zwei Versäumnisse der Bank ging Tonner ein: Die Haspa habe Krupsky damals verschwiegen, dass die Zertifikate nicht der deutschen Einlagensicherung unterlagen. Zwar habe auch die Bank zum damaligen Zeitpunkt nicht ahnen können, dass Lehman knapp zwei Jahre später im September 2008 spektakulär in die Pleite rutschen sollte und damit alle Anleihen faktisch wertlos wurden. Auf das Risiko fehlender Einlagensicherung aber hätte sie hinweisen müssen. Außerdem habe die Haspa nicht hinreichend deutlich gemacht, selbst ein «wirtschaftliches Eigeninteresse» an dem Geschäft zu haben, betonte der Jurist.

Erleichtert reagierten der Kläger und sein Anwalt Ulrich Husack nach dem Urteil. Er habe nicht unbedingt mit einem Sieg vor Gericht gerechnet, bekannte Krupsky. «Ich bin glücklich und gleichzeitig ein bisschen überrascht», sagte der frühere Lehrer. Er hoffe, dass andere geschädigte Anleger nun «Mut schöpfen», betonte Husack. Zugleich wies er darauf hin, dass das Urteil kein Präzedenzfall sei. Andere Banken hätten Anleihen nach anderen Systemen verkauft. Auch Gerichtssprecherin Sabine Westphalen äußerte sich zurückhaltend über die Signalwirkung: «Maßgebend ist in jedem Prozess die jeweilige Fallkonstellation.»

Die Sparkasse kritisierte das Urteil scharf und kündigte umgehend an, Berufung einzulegen. Man beobachte bei der rechtlichen Aufarbeitung der Folgen der Lehman-Pleite die Tendenz, dass Richter das Anlagerisiko rückwirkend «vollständig» auf die Kreditinstitute verlagerten, ließ Haspa-Privatkundenvorstand Reinhard Klein in einer Pressemitteilung erklären. Gegen eine nachgelagerte Zurechnung von Beratungspflichten werde man sich wehren. «Wir sind optimistisch, dass die Situation in der nächsten Instanz neu bewertet wird.»

Nach Haspa-Angaben sind etwa 3700 ihrer Kunden von der Lehman- Insolvenz betroffen. Rund 1000 davon hat die Bank auf freiwilliger Basis entschädigt. Auch andere Institute wie die Frankfurter Sparkasse und die Citi-Bank haben freiwillige Ausgleichszahlungen an Kunden angekündigt. Die Zahl der Lehman-Geschädigten in Deutschland schätzen Experten auf 30 000 bis 50 000 Euro. In vielen Städten sind derzeit Klagen geschädigter Anleger anhängig.

In der Urteilsbegründung monierte der Richter, die Haspa habe Krupsky über die Gewinnmarge im Unklaren gelassen, die sie selbst bei dem Geschäft kassierte. Zudem habe die Bank verschwiegen, dass die Lehman-Anleihen aus einem Paket stammten, das sie bei Lehman bestellt hatte und nur mit Abschlägen hätte zurückgeben können. «Diese Interessenlage begründet in besonderer Weise eine Aufklärungspflicht», betonte der Jurist. Dabei berief er sich auch auf die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH). Dieser habe erst am 12. Mai in einem Urteil bekräftigt, Banken müssten «verdeckte» Provisionen darlegen. Dieser Grundsatz sei auch auf den vorliegenden Lehman-Fall übertragbar, sagte Tonner.

Schon während des Verfahrens, das im März begonnen hatte, ließ der Richter durchblicken, dass er eine Verletzung der Beratungspflicht der Haspa annehme. Zugleich hatte er aber bezweifelt, ob Krupsky nachweisen könne, dass er auf den Kauf der Anleihen im Fall vollständiger Information tatsächlich verzichtet hätte. Dieser Punkt ist rechtlich mitentscheidend. Unter Verweis auf das BGH-Urteil vom Mai entschied er nun, dass für den Kläger zunächst die «Vermutung aufklärungsrichtigen Verhaltens» spreche. Diese hätte die Sparkasse widerlegen müssen.