Lebensmittel Lebensmittel: Heute geht es um die Wurst

Kassel/dpa. - Es sieht aus wie bei einer Arztvisite. Mehrere reifere Herren, einige Damen sind auch dabei, stehen, das Klemmbrett unterm Arm, in weißen Kitteln zusammen und begutachten und fachsimpeln. Doch die Fettwerte, über die in den Kasseler Messehallen diskutiert wird, haben keinen medizinischen Hintergrund: In dernordhessischen Stadt findet die jährliche «DLG-QualitätsprüfungSchinken und Wurst» der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft (DLG) statt. Fast 600 Prüfer entscheiden an vier Tagen, wer sich ein Jahr lang mit der Gold-, Silber- oder Bronzemedaille der DLG schmücken darf.
Mehr als 5500 Proben haben Unternehmen aus der ganzen Welt nachKassel geschickt. Italienischer Schinken und französische Pastete,schweizerische Leberwurst und ungarische Salami, norddeutscheTeewurst und bayerischer Kochschinken, daneben Batterien mitDosenfleisch. Es scheint keine Wurstsorte zu geben, die auf den gut50 Tischen, jeder sechs bis acht Meter lang, nicht liegt, obgewürfelt, in Scheiben oder am Stück. Allein die Zahl der Schinkengeht in den dreistelligen Bereich und das zarte Fleisch von der Keulekennt alle Rottöne von hellleuchtend bis fast schwarz.
«Nur die Fettränder werden immer seltener», sagt Achim Stiebig.Der DLG-Vize ist Chef der, wie er sagt, «härtesten Fleischprüfung derWelt» und seit Jahrzehnten in der Branche. «Die Verbraucher wollenimmer magereres Fleisch.» Speckstückchen und Fetteinlagerungen seienrar geworden, auch der Salzanteil sinke - und das sei ein Problem:«Fett ist ein Geschmacksträger, Salz würzt. Wenn ich einen Schinkenmit nur einem Prozent Salz mache, ist das toll. Er schmeckt abernicht mehr.»
Der Geschmack ist aber das entscheidende in Kassel. Die Prüferbewerten das ganze Produkt, von der Farbe bis zur Verpackung, ob derSchinken sich leicht entnehmen lässt oder wie die Wurst beimAufmachen riecht. Der Geschmack bringt die meisten Punkte. Aber«schmeckt nicht» gibt's nicht: «Wir brauchen eine genaue Analyse: Wieist der Grundstoff, wie die Würzung, wie die Zubereitung? Wir wollenden Herstellern auch sagen, was sie besser machen sollen.»
Entsprechend geschult sind die Tester. Sie haben jahrelangeErfahrung, einen Prüferpass der DLG und sind zur Neutralitätverpflichtet. In kleinen Gruppen stehen die Männer und Frauen in denKitteln zusammen, begutachten einen Schinken unter der Lampe oderkauen auf einer Salamischeibe. Dazwischen gibt es lauwarmen,ungesüßten Tee und Weißbrot, um nach 25 Proben noch einen Unterschiedzu schmecken. In der Pause spendiert die DLG einen Schnaps, um dieGeschmacksnerven zu reaktivieren. Kaffee ist streng verboten,Zigaretten werden gar nicht erst erwähnt.
Wer das Qualitätssiegel bekommt, druckt es stolz auf dieVerpackung. Mehr als 70 Prozent der Verbraucher kennen das Siegel,heißt es bei der DLG. «Bei uns in der Schweiz ist es durchaus einBegriff. In Frankreich arbeiten wir gerade daran», sagt PierreHirsinger. Der Schinkenhersteller ist aus Genf nach Kassel gekommen,um selbst zu prüfen und seine Produkte prüfen zu lassen. «Natürlichbin ich auch aufgeregt. Aber ich hoffe, dass es auch dieses Jahrwieder Gold gibt.»
Seinen Schinken würde er herausschmecken, glaubt der Schweizer.Brigitte Thiel vom Deutschen Hausfrauenbund ist skeptischer: «BeiTests erkennen die wenigsten Hersteller ihre eigenen Produkte.» DenTestern in Kassel bescheinigt sie Professionalität: «HervorragendeFachleute, wissenschaftliche Methoden und nicht zuletzt das richtigeGespür für Fleisch.» Immerhin der Grund, warum Shizuo Sasazaki vonTokio bis Kassel gereist ist: «Deutschland hat weltweit die reichsteWursttradition. Das wollen wir auch», sagt der Fachmann aus Japan.Einheimisch soll es aber dennoch sein: Sasazaki will Wurst nachdeutscher Art mit japanischer Prägung: «Magerer, milder, fettärmer.»