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Landwirtschaft Landwirtschaft: «Arbeiten wie ein Stier»

05.04.2006, 09:32
Ein Mitarbeiter in einer Bullen-Besamungsstation in München hält einem Stier eine «künstliche Scheide» in der Form eines Rohres an das erregte Glied, um die Stiersamen aufzufangen (Foto vom 14.02.2006). (Foto: dpa)
Ein Mitarbeiter in einer Bullen-Besamungsstation in München hält einem Stier eine «künstliche Scheide» in der Form eines Rohres an das erregte Glied, um die Stiersamen aufzufangen (Foto vom 14.02.2006). (Foto: dpa) dpa

München/dpa. - Randy war Zuchtbulle aufder Besamungstation Grub bei München, fast neun Jahre lang. Und seingefrorener Samen dient noch immer der Fortpflanzung, weil er fürausgesprochen starke und langlebige Kälber sorgt, die späterüberdurchschnittlich viel Milch geben. Dabei liegt die Zeugung inMenschenhand - bereits seit mehr als 50 Jahren.

Es ist halb acht Uhr morgens. Im Absamungsraum derBesamungsstation Grub bei München steht Pergamon, ein kleiner,schwarz-weißer Stier, an ein Eisengestänge gebunden mit dem Gesichtzur Wand. Hinter ihm führen vier Bullenwärter in Blaumännern zweigroße braune Stiere auf und ab. «Die werden jetzt heiß gemacht»,erklärt Stationsleiter Thomas Grupp, der das Geschehen hinter einerGlasscheibe verfolgt. Und weil Stiere vor allem auf visuelle Reizereagieren, führen die Absamer ihnen immer wieder Pergamons Hinterteilvor. Die Torbogenform der Hinteransicht ist es vor allem, die dieBullen sichtlich erregt.

Sie schwitzen und sabbern, aus ihrer Harnröhre tropft einSäuberungssekret. Nicht übermäßig zärtlich legen sie ihren Kopf aufPergamons Hüfte, um ihn zu riechen. Dass er keine Kuh ist, kümmertdie Stiere nicht weiter. Nach zehn Minuten scheint der größere vonihnen, Harriot, so weit zu sein. Mit einem Ruck springt er aufPergamons Hinterteil auf, Pergamon schwankt ein bisschen, macht sonstaber keinen Mucks. «Der steht da den ganzen Vormittag, das ist seinJob. Sonst wäre er schon längst in der Wurst», sagt Thomas Grupp.

Absamer Thomas Gruber schlägt Harriot auf die Nase - das Tier warzu früh, denn das Geschlechtsteil des Stieres muss bereits vor demAufsprung in seiner ganzen Länge «ausgeschachtet» sein, so derFachausdruck. Noch einmal wird Harriot Pergamons Hinterteilvorgeführt.

Wieder springt Harriot auf seinen duldsamen Untermann, und jetztmuss alles sehr schnell gehen. Der Absamer drängt sich neben ihn,hält ihm eine «künstliche Scheide» in der Form eines Rohres an daserregte Glied, der Stier stößt ein letztes Mal mit kräftigenHinterbeinen, und in das Auffangglas spritzt eine Ladung Stiersamen.Thomas Gruber hebt gelassen das Auffangglas: «Fast zehn Milliliter.»Er grinst seinen Chef hinter der Scheibe an und macht ein Victory-Zeichen ob des stolzen Ertrages.

Grubers Job ist nicht ganz ungefährlich. «Wenn der Strahl dirunten das Glas wegschießt und dir das Zeug in die Augen spritzt,kannst du fast drei Tage lang nichts mehr sehen,» erklärt er lachend.Aber das Unterfangen birgt durchaus noch größere Risiken - für Tierund Mensch gleichermaßen. Manchmal rutschen die massigen Bullen inihrer Erregung seitwärts vom Vordermann. Bei einem Altbullen sind das1300 Kilogramm und bis zu 30 000 Euro, die dann auf den Betonbodenfallen. Einem ausgewachsenen Stier ein gebrochenes Bein zu schienen,hat wenig Aussicht auf Erfolg, und so folgen auf solcheUnfälle Bolzenschuss und Metzgerei.

Der Bulle Harriot ist ein so genannter «Prüfbulle»: Die Kälber,die aus seinem Samen entstehen, werden genau getestet. Wenn sie nichtviel Milch geben, zu schwach gebaut sind oder anfällig fürKrankheiten, dann helfen Harriot auch seine zehn Milliliter nicht,dann ist sein Ende besiegelt. Wer dagegen endgültig in die Vererber-Elite aufgenommen wird, dem steht ein Leben in der Besamungsstationbevor. Das bedeutet: Keine Kühe, dafür gutes Futter, Nagel- undFellpflege und drei Mal die Woche «springen» im Absamungsraum.

Gleich nach der Absamung wird Harriots heutiger Ertrag im Labormikroskopiert, während Harriot sich langsam wieder beruhigt undzurück zu seinen Kollegen in den Stall geführt wird. Aus Menge,Dichte und Beweglichkeit seiner Spermien errechnet die Laborantin,dass aus Harriots Sprung 1176 Samenportionen gewonnen werden können.

Insgesamt werden in Grub täglich 15 000 solcher Portionenproduziert, mit denen später ebenso viele Kühe befruchtet werdenkönnen. Das Sperma wird dazu mit Eigelb verdünnt, eine Maschineverpackt es dann ratternd in dünne, bunte Röhrchen. Behutsam wirdHarriots Samen auf minus 196 Grad gebracht. Gemeinsam mit 4 Millionenweiteren Samenportionen wird er in Tanks mit flüssigem Stickstoffkonserviert - unter Umständen Jahrzehnte lang, bis eines Tages einerder vierzig Besamungstechniker der Gruber Station Harriots Erbanlagenfür seine nächste Ausfahrt anfordert.

Die Besamungstechniker nennen sich selbst lieber «Besamer» undsind bei der künstlichen Zeugung eines Kalbs gewissermaßen dasPendant zu den Absamern. Willi Wendlinger, Besamer «aus Berufung»,ist für den Landkreis Mühldorf verantwortlich. Alle Bauern dieserRegion, die Mitglied der Besamungsstation sind, können ihn perTelefon zu ihren Kühen rufen - auch sonntags. «Oberniedermeier,Altmühldorf» spricht eine urbayerische Stimme um sieben Uhr morgensauf Wendlingers Anrufbeantworter, und schon ist der Besamer mitseinem Geländewagen auf dem Weg.

Beim Einfahren auf den Hof hupt er zwei Mal kurz und springt ausdem Wagen. Er liebt den Umgang mit Leuten und Tieren. BauerOberniedermeier kommt aus der Scheune. Mit ein paar Worten haben sichdie Männer zuvor verständigt, mit welchem Stier besamt werden soll:«Heit mach' ma' den Manager.» Die Kuh, um die es geht, - es ist dieNummer «DE 185» - hat eine hohe Milchleistung, ist aber etwasschwächlich gebaut. «Deswegen kriegt's den Manager, der macht starkeKälber.»

Gesagt - getan. Wendlinger holt eines der bunten Samen-Röhrchenaus dem dampfenden Stickstoff-Kanister im Kofferraum, taut es imWasserbad auf und lädt damit seine «Besamungspistole», eine 40Zentimeter lange Metallspritze. Die steckt er sich einstweilenzwischen Bauch und seine blaue Arbeitsjacke, denn jetzt muss er ersteinmal beide Hände frei haben. Mit dem linken Arm, über den er einenlangen Plastikhandschuh gezogen hat, fährt er der Kuh mit ein wenigGleitcreme vorsichtig in den After.

Die Kuh gibt keinen Laut von sich, versucht ein zaghaftesSchrittchen zur Seite, bleibt dann aber gottergeben stehen, den Blickstur nach vorn gerichtet. Im Stalldach piepst ein Vogel, sonst istkaum etwas zu hören. Wendlinger hat nun vom Mastdarm aus dieGebärmutter ertastet. «Die fühlt sich prall an, wie eine LyonerWurst,» beschreibt er. Das ist das Zeichen dafür, dass er genau zumrichtigen Zeitpunkt gekommen ist: Die Kuh ist «stierig», alsohochbrünstig.

Jetzt zieht Wendlinger die Besamungspistole hervor und führt siedurch die Scheide der Kuh bis zur Gebärmutter. Deren Eingang ist dieSchwelle, über die kaum ein Besamungsanfänger hinaus kommt. Er istsehr eng und mit vielen Hautfalten bedeckt. «Das dauert seine tausendVersuche, bis man da durch trifft.» Doch Wendlinger ist seit 22Jahren im Geschäft und Vollprofi. Die ganze Prozedur dauert bei ihmkaum länger als eine halbe Minute. Nach erfolgter Besamung lässt dieKuh einen Fladen fallen. «Wenn sie nach der künstlichen Besamungscheißt, ist sie trächtig», zitiert Wendlinger eine alte Bauern-Weisheit, die er selbst aber für Aberglauben hält.

Ob eine Besamung klappt, hängt vor allem vom richtigen Zeitpunktab. Nur einen Tag lang ist eine Kuh in der Hochbrunst. Für einenBauern ist das nicht so eindeutig erkennbar wie für FachmannWendlinger. «Das sicherste Zeichen ist der Duldungsreflex, wenn dieKuh eine andere aufspringen lässt. In der Hochbrunst würde diewirklich jeden Stier aufspringen lassen, sogar wenn er ihr dabei dieBeine bricht.» Da ein Bauer aber nicht den ganzen Tag lang seine Kühebeobachten kann, wird Wendlinger oft zu früh gerufen. 30 Prozent derBesamungen schlagen fehl. Die Kuh wird dann nach drei Wochen erneutbrünstig, und Wendlinger muss noch einmal mit neuem Samen anrücken.

Trotzdem ist die künstliche Besamung mit rund fünfzehn Euro proSamenportion für die Bauern immer noch wesentlich billiger, als sichselbst einen Stier zu halten. Und sie ist weniger gefährlich, dennmit einem wilden Stier auf Brautschau ist nicht zu spaßen. Nebenbeiwird durch die Auswahl des Samens aus dem riesigen Genpool derStation auch die Inzestgefahr gebannt. Außerdem sind die Nachkommenvon Randy und Co. doch die stärksten und milchfreudigsten. Deswegenwerden heute nur noch drei Prozent der Kälber auf die herkömmlicheWeise gezeugt.

Noch sechzehn weitere Bauern rufen Wendlinger heute zur Besamung,an anderen Tagen ist es stressiger. Gegen vier Uhr ist er fertig. Undwenn er dann nach Hause kommt, sagt er manchmal zu seiner Frau:«Heute hab' ich wieder einmal gearbeitet wie ein Stier.»