Kultautor Kultautor: Küssen verboten
Halle (Saale)/MZ. - Die Liebe überwindet alle Schranken. Jedenfalls war es bisher so. Nun ist das Grabmal des Dichters Oscar Wilde auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise vor den Gunstbezeugungen seiner Verehrer durch eine Glasfront geschützt. Seit den 1990er Jahren hatte es sich eingebürgert, dass Wilde-Fans dem Gedenkstein für den schwulen Kultautor feurige Lippenstiftküsse aufdrückten.
Das ist nur eine der Verrücktheiten, mit denen es die Friedhofsverwaltung zu tun hat. An der letzten Ruhestätte des Rockstars Jim Morrison, der wie Oscar Wilde in Paris gestorben ist, beliebten seine Anhänger rauschende Partys zu feiern, weswegen man den Weg zum Grab trickreich zu verschleiern suchte. Und wenn Todestage anstehen, wird schon mal die Polizei gebeten, für die gebührende Totenruhe zu sorgen.
Im Falle des irischen Schriftstellers und Familienvaters Oscar Wilde (1854-1900), der wegen seiner Homosexualität im Gefängnis landete und in Armut starb, hat die andauernde Kuss-Belagerung zu unvermutet handfesten Folgen geführt: Das Fett, aus dem Lippenstifte nicht zuletzt bestehen, griff den Stein an.
Seinen Großvater, dessen "Bildnis des Dorian Gray" als Sinnbild für die Selbstverliebtheit des Schönen steht, hätte die Aufmerksamkeit jedenfalls gefreut, hat Oscar Wildes Enkel Merlin Holland am Mittwoch, an dessen Todestag, in Paris gesagt. Das lässt sich denken. Zumal die Erben der guten Gesellschaft, die den Dichter erst stürmisch feierte und dann fallen ließ, ihm durchaus noch etwas schuldig sind. So gesehen, kann man eigentlich nur traurig sein, dass die Freunde des Dichters fortan nicht mehr zum Kusse kommen. Es sei denn auf Glas.