Kreide Kreide: Weißes Gold in schwarzer Industrie

Stralsund/dpa. - Er prägte damit ein Bild von der Insel, das nochheute jährlich Millionen von Touristen gefangen nimmt. Doch wenigeKilometer hinter dem geschützten Küstenabschnitt rücken Schürfbaggerdem «weißen Gold» zu Leibe. «Kreide ist ein wertvoller Rohstoff für Landwirtschaft, Kraftwerkstechnik, chemische Industrie oder den Umweltschutz», sagt der Leiter des Bergamtes in Mecklenburg-Vorpommern, Martin Froben. Die Verwendung der Kreide für heilendePeelingbäder und Schlammpackungen ist zwar imagefördernd, fällt beimAbsatz aber kaum ins Gewicht.
Neben einer Lagerstätte auf der Insel Rügen mit einem Volumen von32 Millionen Tonnen findet sich eine weitere, etwas kleinere beiLöcknitz an der deutsch-polnischen Grenze. Sie ist bis heuteunberührt. Genau wie Kalk besteht Kreide aus Calziumcarbonat, denrund 70 Millionen Jahre alten Ablagerungen von Schalen und Skelettenkleinster Lebewesen in den von Dinosauriern beherrschtenKreidemeeren. Weil die Kreide aber im Gegensatz zum späterenKalkstein nicht so stark von anderen Gesteinsschichten überdecktwurde, ist sie ein wesentlich weicheres Material, wie Frobenerläutert. Kalkstein findet sich vor allem in südlicheren GegendenDeutschlands, Kreide in Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holsteinund Niedersachsen.
Auf Rügen boomt die Kreidegewinnung. Im vergangenen Jahr wurde mitrund 354 000 Tonnen soviel von dem Rohstoff abgebaut wie nie zuvor inder rund 200-jährigen Geschichte des Kreideabbaus auf der Insel. Indiesem Jahr rechnet das Bergamt mit rund 380 000 Tonnen. Unumstrittenist die Verwertung des bei Touristen imageträchtigen Bodenschatzesjedoch nicht. Das Unternehmen, die im niedersächsischen Söhldeansässige Vereinigte Kreidewerke Dammann KG, lässt seit Jahren keinenJournalisten auf das Gelände und gibt auch keine Auskünfte überAbbaumengen und Kunden. «Wir haben Wichtigeres zu tun», wehrtGeschäftsführer Klaus Jäkel entsprechende Anfragen ab.
Das Unternehmen will auf Rügen ein weiteres Areal für denKreideabbau erschließen. Auf einer Fläche von 260 Hektar befindensich Lagerstätten mit Vorkommen für die kommenden 100 Jahre. DasPlanfeststellungsverfahren für den Abbau auf der Hälfte dieses Arealssteht laut Bergamtschef Froben kurz vor dem Abschluss. Tourismus- undNaturschutzverbände beäugen das Vorhaben kritisch. «DerLandschaftsverlust ist nicht kompensierbar», sagte die NABU-Vorsitzende von Rügen, Marlies Preller. «Der exorbitante Abbauzerstört die Naturlandschaft und befördert fossile Energieträger -das ist doch schizophren.»
Denn gerade in Kohlekraftwerken findet die Rügener Kreidereißenden Absatz. Mehr als die Hälfte der geförderten Jahresmenge,inzwischen 200 000 Tonnen, geht an den Energieriesen Vattenfall, derdas feinkörnige Material zur Rauchgasentschwefelung im 3000-Megawatt-Braunkohlekraftwerk Jänschwalde (Brandenburg) einsetzt. Der Einsatzvon Kreide statt Kalkmehl sei weniger aufwendig, koste weniger undbringe bessere Ergebnisse, sagt Unternehmenssprecher Peter Fromm.Aufgrund der positiven Erfahrungen wolle Vattenfall die RügenerKreide auch bei der Rauchgasentschweflung in der Pilotanlage SchwarzePumpe (Brandenburg) einsetzen, in der das klimaschädigendeKohlendioxid nicht in die Luft geblasen, sondern zur unterirdischenSpeicherung abgetrennt wird.
Inzwischen entdeckt die Tourismus- und Wellnessindustrie Kreideals Heilstoff. Hotels und Physiotherapien bieten Bäder in dermilchigen Flüssigkeit oder ein Peeling mit dem allergenfreien Peloidan. Nach Einschätzung des Vereins Rügener Heilkreide verbessernKreidepackungen das Hautbild, wirken zudem schmerzlindernd beirheumatischen Erkrankungen, Gelenkbeschwerden oder Hautkrankheiten.