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Kommentar Kommentar: Kontra: Soll das Sitzenbleiben abgeschafft werden?

Von Andreas Hillger 31.07.2003, 19:50

Der unüberlegte oder allzu häufige Gebrauch eines Mittels bietet noch kein prinzipielles Argument gegen dieses Mittel: Auch wenn die Zahl der Sitzenbleiber in deutschen Schulen zu hoch scheint und die Gründe im Einzelfall strittig sein mögen, ist der Ruf nach genereller Abschaffung dieser zweifellos drastischen Maßnahme überzogen. Denn wenn man die Nicht-Versetzung nicht länger als Quittung für mangelnden Fleiß, sondern als Möglichkeit zur individuellen Entfaltung begreift, kann aus der Strafe sehr wohl eine Chance werden - auch und gerade für jene Schüler, deren Entwicklung nicht nach dem pädagogischen Gardemaß verläuft.

Wichtig scheint also vielmehr die Kultivierung eines Klimas, in dem Sitzenbleiber nicht automatisch als Versager abgestempelt werden und in dem die Nicht-Versetzung daher auch nicht mehr als bloßes Druckmittel gilt. Dabei ist freilich abermals der Dialog zwischen Eltern und Lehrern gefordert, der in der Praxis nur allzu oft in wechselseitigen Schuldzuweisungen endet. Statt auf die Fehler der anderen Seite hinzuweisen, muss der erste Blick den eigenen Versäumnissen gelten - und den Möglichkeiten zur Hilfe für den eigentlich Betroffenen. Und darum sollte mit dem Sitzenbleiben zugleich ein individueller Plan verbunden sein, wie aus der "Ehrenrunde" tatsächlich ein gewinnbringendes Jahr - und nicht ein Stück verlorener Lebenszeit wird.