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Kommentar Kommentar: Die Politik befördert ihren Machtschwund selbst

Von Gunnar Hinck 27.09.2001, 17:28

Das Selbstbewusstsein der Karlsruher Richterist zuletzt so groß geworden, dass sie esnicht länger bei Grundsatz-Entscheidungenbeließen: Als sie vor drei Jahren feststellten,dass verheiratete Paare mit Kindern steuerlichbenachteiligt würden, schrieben sie dem Staatgleichzeitig genau umrissene Steuerfreibeträgevor.

Da drängen sich Fragen auf. Ist es noch vernünftig,wenn Richter den Regierenden derartige Detailsvorschreiben? Und hat der Kanzler nicht etwaRecht, wenn er sagt, den Richtern fallen solcheUrteile leicht, weil sie die Folgekosten janicht bezahlen müssten?

Unschuldig ist die Politik an dieser Entwicklungfreilich nicht. Zunehmend ist es sie, dieaus freien Stücken Entscheidungen über vermeintlichbrisante Entscheidungen an die KarlsruherRichter abgibt. 1994 zum Beispiel mochte diedamalige Regierung nicht entscheiden, ob Bundeswehr-Soldatenim Ausland eingesetzt werden sollen - dieFrage ging an das Verfassungsgericht. DiePolitik nutzt immer weniger den Gestaltungsspielraum,der ihr eigentlich von der Verfassung gegebenist.

Als "Reparaturbetrieb" hat ein ehemaligerVerfassungsgerichts-Präsident jüngst das Gerichtbezeichnet. Die Politik stehe zunehmend unterdem Druck der öffentlichen Meinung, was zuhastig beschlossenen und unausgegorenen Gesetzenführe. Und die Richter müssen nachträglichreparieren. Das heißt anders herum: Im Grundebefördert die Politik ihren schwindenden Einflussselbst, indem sie sich bedingungslos der vermeintlichenErfolgsformel - Gespür für populäre Themenplus Schnelligkeit - verschreibt. Diese Formelkann sich schnell in Beliebigkeit verkehren.Dass die Politik gegenüber dem Bundesverfassungsgerichtan Durchsetzungskraft und Glaubwürdigkeitverliert, steht so stellvertretend für einenallgemeinen Verlust ihrer ehemaligen Stärkeund Glaubwürdigkeit - auch und gerade gegenüberdem Bürger.

Natürlich haben es Verfassungsrichter vielleichter. Sie müssen für ihre Entscheidungennicht Rechenschaft ablegen. Sie müssen nichtim permanenten Licht der Öffentlichkeit fürdas geradestehen, was sie entschieden haben.Für ihre Arbeit interessieren sich nur Spezialisten.Und doch kann die Politik von ihnen lernen,dass sich so altmodisch klingende Formelnwie Geduld und Nachhaltigkeit durchaus auszahlen.Der Einfluss und das Ansehen des KarlsruherGerichts haben auch damit zu tun.