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Köhler hält seine dritte «Berliner Rede»

17.06.2008, 13:39

Berlin/dpa. - Bundespräsident Horst Köhler hat die Deutschen zu weiteren Reformen und zu einer Modernisierung des Landes aufgerufen. Bei aller Kritik an Einzelerscheinungen sieht das Staatsoberhaupt Deutschland auf einem guten Weg.

«Wir sollten das Erreichte nicht zerreden oder gar zurückdrehen, sondern beherzt vorangehen auf dem Weg, der sich als der richtige erwiesen hat», sagte Köhler am Dienstag in seiner dritten «Berliner Rede», die er diesmal im Schloss Bellevue hielt.

Unter dem Titel «Arbeit, Bildung, Integration» richtete Köhler seine Appelle an Arbeitnehmer, Unternehmer und Politiker. Er mahnte gerechte Chancen für alle an, zeigte Verständnis für den Unmut vieler Bürger und verteidigte nachhaltig die repräsentative Demokratie.

Erneut lobte Köhler die umstrittene Reform-«Agenda 2010» von Ex- Kanzler Gerhard Schröder (SPD) und verlangte ihre Fortsetzung in einer «Agenda 2020». Es gebe erste Erfolge - mehr als 1,6 Millionen Menschen hätten einen Arbeitsplatz gefunden. «Und viel mehr Beschäftigung, ja Vollbeschäftigung ist möglich, wenn wir ihre Voraussetzungen und unsere Chancen verstehen und entsprechend handeln.»

Es sei falsch, Wachstum als bedrohlich und zerstörerisch zu sehen, sagte der Bundespräsident. Die Weltmärkte bedürften der politischen Gestaltung. Weltweites Wachstum bleibe das wirksamste Mittel gegen Hunger und Armut. Die Modernisierung anderer Länder, der Umweltschutz, die Versorgung mit Lebensmitteln bedeute Wachstum und zugleich weniger Umweltverschmutzung und weniger Verschwendung von Ressourcen. Köhler: «Es macht die Welt besser, und dabei sind als Weltverbesserer gerade auch wir Deutsche gefragt und können gute Geschäfte machen.»

Von den Unternehmern erwartet Köhler eine Vorbildfunktion. Ihr Fehlverhalten gehöre ohne Ansehen der Person geahndet. «Bei uns dürfen auch die Reichen, Schönen und Mächtigen nicht bei Rot über die Ampel fahren.» Wo Gehälter oder Abfindungen außer Verhältnis zu den Leistungen gerieten, seien die Eigentümer und deren Aufsichtsorgane gefordert. Auch wenn es nur Einzelfälle seien: «Es wird dauern, den Vertrauensschaden zu reparieren, der durch das Fehlverhalten in den Leitungsbereichen einiger deutscher Unternehmen entstanden ist, von Steuerhinterziehung bis zur Bespitzelung der eigenen Mitarbeiter. Dass es aufgedeckt wurde, ist ein gutes Zeichen.»

Die internationalen Voraussetzungen für mehr Arbeit in Deutschland wertete Köhler als grandios. Die heimischen Voraussetzungen «können wir selber schaffen», sagte er. Deutsche Unternehmen bräuchten mehr qualifizierten Nachwuchs. Mit einer klugen Einwanderungspolitik müsse Deutschland zusätzliche Talente gewinnen. «Manche westlichen Demokratien wählen ihre Zuwanderer so intelligent aus, dass die höher gebildet sind als im Durchschnitt die Einheimischen. Es geht darum, begabte Ausländer für uns zu gewinnen, statt sie bloß zu dulden.» Dazu gehörten Einbürgerung und gleiche demokratische Teilhabe für jene, die integriert seien und dauerhaft hier leben wollten. «Wer das nicht tut, sollte sich fragen, wohin er eigentlich gehört. Nach eigenem Recht lebende Exklaven anderer Staaten wird es in Deutschland jedenfalls nicht geben», sagte Köhler.

Der Bundespräsident warb für eine neue Gründerzeit. Schon in den Schulen müssten solide Grundkenntnisse über die Wirtschaft vermittelt werden. Geld für die Umsetzung von Ideen sei reichlich da. Der Löwenanteil der ordentliche Gewinne «sollte in den schöpferischen Kern unserer Wirtschaft zurückfließen, in Forschung und Entwicklung eben, in die Modernisierung der Betriebe und die Schulung der Mitarbeiter». Köhler forderte die Banken auf, Ideengeber stärker zu unterstützen. Er verteidigte starke Gewerkschaften und Flächentarifverträge, trat aber auch für betriebliche Bündnisse ein.

Als Hemmnis prangerte Köhler erneut das komplizierte Steuersystem an. Ein Steuerrecht müsse «klar, einfach, wirksam und fair» sein. Heute zahlten schon Facharbeiter Steuersätze, die früher nur für Reiche gegolten hätten. «Das alles drückt auf die Steuermoral und den Leistungswillen.»

Wie schon bei seiner «Berliner Rede» vor zwei Jahren geißelte Köhler die Mängel des deutschen Bildungssystems. «Deutschland braucht ein Klima der Begeisterung und der Anerkennung für Bildung.» Das Bildungssystem dürfe niemanden zurücklassen. «Es ist beschämend, wie oft in unserem Bildungswesen die Herkunft eines Menschen seine Zukunft belastet.»

Für die weit verbreitete Unzufriedenheit vieler Bürger über die politische Ordnung zeigte Köhler Verständnis: Dies habe einen berechtigten Kern. Die politische Ordnung reagiere zu langsam und verwische Verantwortlichkeiten. Die grundlegenden Strukturen hätten sich aber bewährt. Köhler befürwortete eine Verlängerung der Legislaturperiode auf fünf Jahre. Um die demokratische Teilhabe zu =stärken, sprach er sich dafür aus, den Wählern mehr Einfluss bei der Aufstellung von Wahllisten zu geben.