Kinder mit Behinderungen Kinder mit Behinderungen: Sebastian überrascht Zuhörer
Halle/MZ. - Geklatsche und Gejohle ergreift das Gelände der Lernbehindertenschule "Makarenko" in Halle: Die Band "Message" wird angesagt. Doch plötzlich wird es ganz still, nur ein etwa zwölfjähriges Mädchen kichert. Dann steht nicht nur dem Mädchen der Mund offen. Der Junge mit dem gelben T-Shirt, der eben noch mühevoll das Bühnenpodest hinaufgeklettert ist und Bewegungen sichtlich schwer koordinieren kann, greift zum Mikrofon und legt los. Mit seinem rockigen Lieblingssong "Das ist das Gesicht der Gewalt." Beherzt und aus voller Kehle. Grandios. Es ist der 16-jährige Sebastian Thum. Wie seine Bandkollegen Evi Proft (18), Mathias Müller (16), Tobias Müller (16), Alexander Fleck (17) und Robert Schwarz (17) lebt Sebastian mit einer Körperbehinderung und lernt am Landesbildungszentrum (LBZ) in Halle.
Aha-Erlebnisse
"Das Aha-Erlebnis ist fast überall, wo wir auftreten, das gleiche", sagt Kai Madlung. Der Förderschullehrer am LBZ hat die Band 1998 aus der Taufe gehoben und übt seitdem einmal in der Woche anderthalb Stunden mit den jungen Musikern. Dem Lehrer und seinen Schützlingen ist es eine Genugtuung, das allgemein vorherrschende Bild von jungen Menschen mit Behinderungen gerade zu rücken: "Jeder denkt, die sind schüchtern, und traut denen nichts zu", sagt Madlung. Auch davon, dass man Menschen, die körperbehindert sind, ihre Behinderung längst nicht immer ansieht, legen die Jugendlichen Zeugnis ab.
"Ich bin doch nicht blöd", entgegnet Sebastian allen, die ihn vorsichtig fragen, wie er sich denn bloß die Liedtexte merken kann. "Und weil Tobias noch Schwierigkeiten mit den Noten hat, orientiert er sich eben an Zahlen bei seinem Gitarrenspiel", erklärt der Lehrer.
Solche Hilfsmittel seien aber durchaus auch bei Kindern ohne Behinderungen üblich. Für die Schüler sei es wichtig, immer wieder gegen Vorurteile anzusingen und sich selbst zu beweisen: Ich kann was, ich bin was.
Eine ähnliche Gesangsformation wie "Message" gibt es mittlerweile auch an der Lernbehindertenschule "Makarenko": die "Trakehner". Alexandra, Nicole, Christine, Marcel, Beatrix und Jeannette werden einmal in der Woche von Kai Madlung ehrenamtlich beim Musizieren angeleitet. Animiert von Madlungs Frau Doreen, die den Chor bei den "Makarenkos" leitet. Und auch die "Trakehner" gehen selbstbewusst zu Werke. Nicht ein einziges Mal kommt Nicole beim Song "Ich lebe" ins Stottern.
Karin Krautheim, die Schulleiterin, ist stolz auf ihre Schüler. "Dabei ist es nicht selbstverständlich, dass sie Proben und Auftritte in Anspruch nehmen können." Schließlich sei manches, zum Beispiel die jährliche "Message"-Teilnahme am Pusteblume-Festival in Köln, auch mit Geld verbunden.
Um so mehr freut sich Karin Krautheim über das ehrenamtliche Engagement von Kai Madlung und vom Förderverein der Schule. Dessen Mitstreiter bringen monatlich jeweils ungefähr zwei Euro in die Schulkasse. "Da kommen bei etwa 25 Mitgliedern keine Reichtümer zusammen", sagt Fördervereinsvorsitzender Mario Hesse. Aber die meisten Eltern hätten selbst finanzielle Sorgen. Umso anerkennenswerter sei das Engagement beispielsweise von Beate Peitzsch oder Ralf Klöhn. Ihre Kinder gehen in die Makarenko-Schule.
Toller Förderverein
"Weil hier wirklich viel für sie getan wird, bringen wir uns als Förderverein-Vorstandsmitglieder gern ein", sagt Beate Klöhn während des Schulfestes. Die Mutter von Mike weist stolz auf eine Bilderwand. "Das haben wir nur geschafft, weil uns viele unterstützen", sagt sie mit Fingerzeig auf das Foto eines hübschen Schulflures. Benjamin Klöhns Vater schwärmt von dem tollen Spielplatz. Jutta Kiegeland, die stellvertretende Vorsitzende vom Verein "Wir helfen", die beim Schulfest dabei ist, freut sich darüber. Der Verein hatte dem Förderverein eine 10 000-Euro-Spende übergeben (die MZ berichtete).
Grund zur Freude beim Schulfest bot auch Werner Lorenz. Der Chef der halleschen Firma Lorenz-Veranstaltungen hatte vom Verein "Wir helfen" von den Nöten der Schule gehört und kurzerhand unentgeltlich ein Auftrittspodest aufgebaut."Hier helfen wir gern, weil wir überzeugt sind, dass benachteiligte Kinder besondere Hilfe brauchen", sagt Lorenz. Sein Unternehmen besteht seit 16 Jahren und hat heute zehn Mitarbeiter. Die Dienstleistungen werden bundesweit Firmen und Privatleuten angeboten, die eine Feier ausrichten wollen und Ausrüstung brauchen.