Kaum Interesse in der Türkei an Marco-Prozess
Antalya/dpa. - Ein Melonenlaster fährt in den Kreisverkehr, Mopeds knattern vorbei, streunende Hunde trotten die kleine Ladenzeile entlang, wo sich Fleischer, Bäcker, Barbier und ein Basar für Haushaltswaren aneinander reihen. In Kepezalti nimmt das Leben seinen gewohnten Gang.
Auch die vier grau getünchten und in die Jahre gekommenen Gefängnisblöcke gehören zum Mittelpunkt der dörflichen Vorstadt im türkischen Antalya. Von ihren hölzernen Wachtürmen blicken die bewaffneten Wärter auf die westlichen Ausläufer des Taurus-Gebirges und eine staubige Zementfabrik, aus deren Schornsteinen Flammen lodern.
In einer der vielen Gemeinschaftszellen des Gefängnisses wartet der 17-jährige Marco aus dem niedersächsischen Uelzen seit fast drei Monaten auf seine Verhandlung. An diesem Freitag soll es soweit sein. Dann soll sich klären, warum Marcos Osterurlaub an der türkischen Riviera nach dem Kennenlernen einer 13-jährigen Britin ein jähes Ende hinter Gittern nahm. Marco bestreitet, das Mädchen - wie dessen Eltern in ihrer Anzeige angeben - nach einem Discoabend in ihrem Hotelzimmer sexuell missbraucht zu haben. Er beteuert, dass beide im Einvernehmen Zärtlichkeiten ausgetauscht hätten.
«Ich denke, dass Marco unschuldig ist», sagt Ibrahim Unal. Er sitzt in einer Teestube gegenüber des rot-weiß lackierten Gefängnistores, das sich hin und wieder öffnet, um die blauen Gefangenenbusse vom Hof in den Kreisverkehr zu entlassen. Neben dem Tor, im vergitterten Eingangsbereich der Gefängnis-Kantine, warten dicht gedrängt und in brütender Hitze rund 50 Besucher auf Einlass. Meist sind es Frauen und Kinder, unter ihnen auch Unals Tochter. Deren Mann ist die versuchte Bestechung eines Beamten im Grundbuchamt zum Verhängnis geworden.
Wer Schlimmeres auf dem Kerbholz hat, sitzt woanders ein, in Gefängnissen mit Einzelzellen. «Das hier ist eine halb offene Anstalt, viele Gefangene dürfen morgens zur Arbeit und kehren abends zurück», erklärt Unal. Allerdings sei das Gefängnis hoffnungslos überbelegt. Ursprünglich für gut 600 Gefangene gebaut, sitzen zur Zeit rund 1700 Menschen ein. Die Bewohner von Kepezalti machen sich nicht viel aus dem zu trauriger Berühmtheit gelangten Gefangenen aus Deutschland. «Niemand kümmert sich darum, was wir erfahren, erfahren wir von Journalisten, die hier vorbeikommen», sagt Mehmet Sari, dem die Teestube gehört.
Allerdings ist es ruhiger geworden, seit die Justiz in der vergangenen Woche eine Nachrichtensperre im Fall Marco verhängt und das Filmen und Fotografieren vor dem Gefängnis verboten hat. Nur noch vereinzelt richtet sich aus sicherer Entfernung ein Teleobjektiv auf die grauen Mauern. Dann und wann fährt ein Mietwagen am Zaun entlang, in denen der Beifahrer verstohlen eine Kamera aus dem Fenster hält.
Wenige Kilometer entfernt, ebenfalls in der westlichen Peripherie von Antalya, mahlen die Mühlen der Justiz. Auch im und vor dem Gerichtsgebäude herrscht striktes Dreh- und Fotografierverbot. Journalisten, die sich nicht daran halten, droht die Festnahme. Das gelte auch für die Verhandlung am Freitag, sagt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Antalya, Saym Yusuf Hakki Dogan. Gegen 10.00 Uhr soll der Gefängnisbus aus Kepezalti mit Marco an Bord eintreffen.
Die deutschen Urlauber in Antalya genießen nicht nur Sonne, Strand und Meer. Sie diskutieren auch über den Fall Marco. «Viele halten die Aussagen des Mädchens für unglaubwürdig», sagt Bostijan Glojnaric aus Moers, dessen beide kleinen Kinder gerade das Tauchen lernen. Letztlich stehe Aussage gegen Aussage. Die Türkei habe mit der Strafverfolgung keinen Fehler gemacht. «Man könnte Marco aber auch einfach den Pass abnehmen, die U-Haft ist übertrieben.»
Sollte Marco noch länger im Gefängnis bleiben müssen, hat der mit dem inhaftierten Schwiegersohn geprüfte Ibrahim Unal einen Ratschlag für den 17-Jährigen parat: «Der Junge sollte ein Buch schreiben mit all seinen Erlebnissen.»