Jugend Jugend: Uni zum Ausprobieren

Tübingen/Hamburg/dpa. - Die Frage nach dem «Warum» gehört wohl zu den Lieblingsfragen eines jeden Kindes. Die passenden Antworten darauf zu finden, ist für Erwachsene jedoch nicht immer ganz einfach. Diese Erfahrung machen auch die Gelehrten der Eberhard-Karls-Universität in Tübingen, die bei der «Kinderuni» nicht wie sonst erwachsenen Studenten Rede und Antwort stehen, sondern neugierigen kleinen «Gasthörern».
Die Kinderuni, von zwei Lokaljournalisten ins Leben gerufen, hat in Tübingen ihren Ursprung. Nach dem bundesweiten Einstieg des «Tigerentenclubs» vom Südwest-Rundfunk (SWR) hat sie allerdings in Deutschland viele Nachahmer gefunden. In den Semesterferien und bis in das kommende Wintersemester hinein gibt es entsprechende Angebote an mehr als 30 Hochschulen. Fragen wie «Warum ist das Blut rot?» sollen dann an der Universität Heidelberg, «Warum kommen Tropfen in den Regen?» an der Universität Bochum oder «Wie kommt die Musik in den Kopf?» an der Universität Kiel beantwortet werden.
Tübingen hat gerade das zweite Semester der Kinderuni beendet und plant eine Neuauflage im Sommersemester 2004. «Es hat sich bewährt, die Kinderuni an einem festen Tag abzuhalten», sagt Ulrich Janßen, der zusammen mit Ulrike Steuernagel die Kinderuniversität organisiert.
Einmal die Woche kommen die Kinder im Sommersemester - dienstags, 17 Uhr cum tempore (c.t.) - an die Universität. «Die Vorlesung beginnt mit einer Viertelstunde Verzögerung, wie bei den richtigen Studenten auch», erläutert Janßen, was es mit der c.t.-Regelung auf sich hat. Bei der Kinderuni seien bewusst Rituale übernommen worden. So haben die kleinen Nachwuchsakademiker ein Studienbuch und Scheine, wie die Großen dürfen sie auch in der Mensa essen.
«Wenn den Kindern langweilig wird, werfen sie Papierflieger und fangen an, sich mit dem Nachbarn zu unterhalten», hat Janßen beobachtet. Werden die Kids aber gut unterhalten, sei die Reaktion auch für die Professoren ungewohnt: «Sie verfolgen staunend und mit offenem Mund die Vorträge.» Naturwissenschaftler haben es nach Janßens Erfahrung einfacher. «Die Themen sind leichter zu vermitteln, da kann man mehr Bilder zeigen und mal ein Experiment machen.»
Die Erklärung hochwissenschaftlicher Sachverhalte ist nicht nur für Hochschullehrer eine Herausforderung. Auch Eltern haben ihre Probleme mit der Frage, wo denn nun die Babys herkommen oder wie die Milch aus der Kuh in die Tüte gelangt. «Wenn ein Kind Fragen stellt, sollte man sie möglichst zeitnah besprechen», sagt Diplom-Psychologin Katharina Griese aus Hamburg. Eltern sollten dabei auch ihre eigene Unwissenheit zugeben. «Niemand kann für alles Experte sein - wichtig ist zu wissen, wie man das Wissen beschafft.»
Soll also der Weg der Milch von der Kuh in die Tüte erklärt werden, sei es hilfreich, zunächst beim Bauern vorbeizuschauen. «Kinder lernen durch Erlebnisse», sagt die Psychologin. Einem Kind etwas zu erklären, sei nur der erste Schritt. «Etwas Neues prägt sich am besten ein, wenn das Kind es mit allen Sinnen wahrnehmen kann.» Eine andere Möglichkeit der Wissensvermittlung sei das ritualisierte Lernen in der Familie. «Man kann einen Tag in der Woche festlegen, an dem die Familie mit Lupe und Kinderlexikon ausgestattet durch Wald und Wiesen zieht», so die Psychologin. Auch Ausflüge zum Flughafen oder in kindergerechte Museen könnten auf dem Programm stehen.
Die Themen für die Kinderunis kommen ebenfalls aus allen Fachbereichen. «Wir mischen Natur- und Geisteswissenschaften, haben aber auch Mediziner, Wirtschaftswissenschaftler und Juristen», sagt Ulrich Janßen. Sie erklären, warum Erwachsene mehr dürfen als Kinder, warum die Sterne nicht vom Himmel fallen und warum Muslime zum Beten einen Teppich brauchen.
Die Kinder zeigen schon während der Vorlesung, ob sie sich interessieren oder nicht. «Wer fünf von acht Veranstaltungen besucht hat, kann am Ende des Semesters bei der Wahl des Lieblingsprofessors mitmachen», sagt Janßen. Bei der ersten Kinderuni 2002 wurde dem Versteinerungsforscher - akademisch: Paläontologe - Volker Mosbrugger diese Ehre zuteil. Er hatte den Kindern erklärt, warum die Dinosaurier ausgestorben sind.
In erster Linie gehe es bei der Kinderuni aber nicht um die Vermittlung von Faktenwissen, das später abgefragt wird. «Dennoch bleibt erstaunlich viel hängen», sagt Janßen und verweist auf eine Begleitstudie, bei der Pädagogen der Tübinger Uni nach jeder Vorlesung Kinder befragt hatten. Viel wichtiger findet Janßen, dass sich die Kinder eine fremde und steife Institution erobern. «Sie sehen, dass Professoren ganz nett sein können und Jeans anhaben.»
Literatur: Ulla Steuernagel, Ulrich Janßen: Die Kinder-Uni. Forscher erklären die Rätsel der Welt. Deutsche Verlagsanstalt, ISBN: 3421056951, 19,90 Euro.